Sonderdruck auS
Monographien
des römisch-Germanischen Zentralmuseums
Band 129
römisch-germanisches Zentralmuseum
Leibniz-Forschungsinstitut für archäologie
dieter Quast (Hrsg.)
Das grab Des fränkischen königs
chilDerich in Tournai unD Die
anasTasis chilDerici von Jean-Jacques
chiffleT aus DeM Jahre 1655
Mit Beiträgen von
Hermann ament · raymond Brulet · annette Frey · andreas Gietzen
Matthias Hardt · elmar Mittler · Patrick Périn · dieter Quast
Philipp von rummel · Fritz Wagner † · Ian Wood
Verlag des römisch-Germanischen Zentralmuseums
Mainz 2015
redaktion: Stefan albrecht, claudia nickel,
Marie röder, Laura Weszkalnys (rGZM)
Satz: claudia nickel (rGZM)
umschlaggestaltung: reinhard köster, Michael ober (rGZM)
Bibliografische Information
der Deutschen Nationalbibliothek
die deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliograie; detaillierte bibliograische
daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-88467-256-3
ISSN 0171-1474
© 2015 Verlag des römisch-Germanischen Zentralmuseums
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druck: betz-druck GmbH, darmstadt
Printed in Germany.
INhaltSverzeIchNIS
Vorwort (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Chiflet – der Autor und sein Werk
Jean-Jacques Chiflet (1588-1660) und die Anastasis Childerici I Francorum regis (Andreas Gietzen) . . . . 3
Das Druck- und Verlagshaus Plantin-Moretus und Chilets Anastasis Childerici I – archäologie
und Politik (Elmar Mittler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Die politische Bedeutung des Childerich-Grabfundes von 1653 (Fritz Wagner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
der Quellenwert der Anastasis Chiflets (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Childerich – der König und sein Grab
die Stadt Tournai in der Spätantike (Raymond Brulet) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Lage und entdeckung des childerichgrabes (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Verloren – verschenkt – geraubt: das Schicksal der Funde aus dem childerichgrab (Annette Frey) . . . . . 99
der diebstahl des »Schatzes des childerich I.« aus der königlichen Bibliothek von Paris
in der Nacht vom 5. zum 6. November 1831 (Patrick Périn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
childerich und der abbé du Bos (Ian Wood) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
das childerichgrab in der archäologischen Forschung (Hermann Ament) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
der Grabbau (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Prunkvolle kleidung im 5. Jahrhundert im Spiegel der Schriftquellen (Philipp von Rummel) . . . . . . . . . 209
childerich I. in den historischen Quellen (Matthias Hardt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
V
Chlodwig – der Nachfolger und seine Botschaften
der Vater, ein fränkischer könig im Gallien des 5. Jahrhunderts (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
chlodwig – die codes der Macht (Dieter Quast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Originaltext und Übersetzung
Anastasis Childerici I. Francorum regis, sive thesaurus sepulchralis
Tornaci Nerviorum effosus, & commentario illustratus.
Auctore Ioanne Iacobo Chiletio, Equite, Regio Archiatrorum Comite,
& Archiducali Medico Primario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
die anastasis childerichs I., des königs der Franken, bzw. der Grabschatz,
ausgegraben zu Tournai im Lande der nervier und mit einem kommentar erläutert.
Von Jean-Jaques Chiflet, Ritter, oberster königlicher Hofarzt, oberster erzherzoglicher Arzt.
Übersetzung und philologische anmerkungen (Andreas Gietzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Verzeichnis der autorinnen und autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
VI
VorWort
Das 1653 entdeckte Grab des fränkischen Königs Childerich I. ist wohl jedem Archäologen bekannt, der
sich mit dem Frühmittelalter beschäftigt 1. Immer wieder erscheinen Beiträge in ausstellungskatalogen, untersuchungen zu einzelaspekten und auch mehrere einträge in unterschiedlichen Lexika liegen vor. da die
meisten Funde 1831 einem Einbruchdiebstahl in die Bibliothèque Royale in Paris zum Opfer ielen, gewann
die bereits zwei Jahre nach der Aufindung des Grabes vorgelegte Publikation von J.-J. Chiflet 2 eine ganz
besondere Bedeutung, denn dort waren die Funde abgebildet und sehr knapp beschrieben. Diese 1655 in
barockem Latein abgefasste arbeit ist aber den meisten Wissenschaftlern nicht zugänglich. daher entstand
die Idee, den Text neu zu edieren und mit philologischen anmerkungen zu versehen. In Gesprächen stellte
sich heraus, dass bereits mehrere kollegen über eine solche arbeit nachgedacht hatten, aber letztlich über
die Planung noch nicht hinausgekommen waren. auch eine »modernen ansprüchen genügende neue analyse des Grabes« war geplant. Letztlich scheint der ausführliche Artikel von Kurt Böhner aus dem Jahr 1981
aber eine solche untersuchung ersetzt zu haben. und die ausgrabungen der université catholique de Louvain unter der Leitung von Raymond Brulet in den Jahren 1983-1986 machten eine isolierte Auswertung des
childerichgrabes sinnlos, stellten die ergebnisse doch die Bestattung in einen neuen kontext. diese Grabungen sind seit über 20 Jahren publiziert und in die auswertungen wurde das königsgrab miteinbezogen 3.
Die fehlende Neuedition der Arbeit Chiflets stand aber noch immer aus. Dafür konnte Andreas Gietzen
gewonnen werden. Versehen mit einem Stipendium des rGZM übernahm er diese aufgabe im rahmen
seiner Staatsexamensarbeit »childerich und die Franken. Studien zur fränkischen Geschichte im vierten und
fünften Jahrhundert n. chr.«. die arbeit wurde von Herrn Prof. dr. Filippo carlà im Historischen Seminar der
Johannes Gutenberg-universität Mainz betreut und 2013 abgeschlossen. es erschien sinnvoll, darüber hinaus autor und Werk einzuordnen, und natürlich ebenso die Funde aus dem Grab childerichs und childerich
selbst als historische Person. Bei einem so reizvollen Thema waren schnell einige Mitstreiter gewonnen und
so nahm das Projekt Fahrt auf. Die einzelnen Beiträge sollten kurz den Forschungsstand darstellen – eine
detaillierte, neue auswertung war nicht das Ziel. es war klar, dass sowohl die Schriftquellen als auch die
archäologischen Quellen häuig einen gewissen »Interpretationsrahmen« boten. Bekanntermaßen geht das
bei der Datierung der Grablegung los, denn das lange Zeit akzeptierte Datum 481/482 ist längst nicht so
sicher 4. Und in der Archäologie werden Adjektive wie römisch und germanisch konträr für die Benennung
childerichs erörtert. nicht immer waren die autoren des vorliegenden Buches einer Meinung, wie einzelne
Objekte oder Ereignisse zu bewerten sind, doch das relektiert nur die seit über 150 Jahren intensiv geführte
diskussion über dieses königsgrab: Vom fränkischen könig bis zum römischen General reicht die charakterisierung, die Herkunft der qualitativ herausragenden Goldschmiedearbeiten wurde im »gotischen kulturkreis« gesehen, vermittelt von hunnischen Handwerkern, oder wahlweise im oströmischen reich oder
Italien. Immer wieder wurde – gerade im kontrast zu seinem nachfolger chlodwig – die heidnische ausrichtung der Grablege betont. und von besonderer Bedeutung war childerichs Beziehung zum römischen
reich. In den letzten Jahren wurde mehr auf die Inszenierung der Bestattung durch chlodwig hingewiesen.
der name setzt sich aus »hild« kampf, und »rik« könig zusammen: Jungandreas 1981, 440.
2 der name des autors ist fast immer mit zwei F geschrieben.
einzige ausnahme ist die Publikation des childerichgrabes, in
der Chilet mit nur einem F wiedergegeben ist. In diesem Band
haben wir uns dafür entschieden, den namen konsequent als
Chiflet zu schreiben. Lediglich für das Literaturzitat der 1655
1
erschienenen Vorlage des Grabes childerichs wird hier aus bibliographischen Gründen abgewichen.
3 Brulet 1990; 1991 (dort bes. 190-192 zum »sépulture royale«).
4 Halsall 2001, 119. – Die erneute Analyse der Solidi (Fischer / Lind
2015, 20) unterstützt ausdrücklich eine Grablegung in die frühen 480er Jahre.
VII
Zuletzt wurden von Manfred eggert die Gräber childerichs und seines Sohnes zur Beschreibung bzw. kontrastierung der von ihm herausgearbeiteten wichtigsten charakteristika archäologischer und schriftlicher
Quellen gewählt 5. Sicherlich wird das Grab childerichs auch weiterhin anlass für diskussionen bieten. dieser Band möge dazu beitragen, den Forschungsstand in den unterschiedlichen Fachrichtungen schnell zu
erfassen und die diskussion auf eine solide Basis zu stellen.
Ein Dank geht an alle beteiligten Autoren, die mit großem Engagement mitgearbeitet und fristgerecht ihre
Beiträge zur Verfügung gestellt haben. Mehr als ein »riesiges dankeschön« schulde ich den kollegen aus
dem Verlag des rGZM, die für diese Publikation unmögliches möglich gemacht haben: claudia nickel, Marie
röder, Laura Weszkalnys, reinhard köster und besonders auch Stefan albrecht. Herzlich zu danken habe ich
ebenfalls Monika Weber und Vera kassühlke für graphische arbeiten, Volker Iserhardt und Sabine Steidl für
Fotoarbeiten. Anna-Maria Bojzak war eine große Hilfe bei der Digitalisierung des Aufsatzes von Fritz Wagner.
ein besonderer dank geht an drei kollegen für intensive diskussionen und die Bereitschaft zur Mitarbeit
an diesem Band: Patrick Périn, einen der besten kenner der archäologie der Merowingerzeit, der mich
schon als »jungen« Magister in einer erfreulich unkomplizierten Weise in das Netzwerk der französischen
Frühmittelalterarchäologie einband. raymond Brulet, den Leiter und Initiator der ausgrabungen der Jahre
1983-1986 in Tournai, der bereitwillig einen Beitrag zu dieser Publikation beisteuerte, obwohl er selbst eine
Neuedition des Chiflets plante. Und schließlich an Frans Theuws, mit dem ich so lange und intensiv über
das childerichgrab diskutierte, dass ich fast den Zug verpasst hätte.
die Beschäftigung mit dem Grab des fränkischen königs führte zu einer kleinen Sonderausstellung im
RGZM. Ein großer Dank geht an alle an diesem Projekt beteiligten Kollegen: Holger Baitinger, Ronald Bockius, Vera Kassühlke, Antje Kluge-Pinsker, Ulrike Lehnert, Sabby Mohrhardt und Markus Scholz. Die Diskussionen in dieser runde haben oftmals zum Präzisieren eigener Überlegungen aufgefordert und neue
Gedanken angeregt. aufgrund ihrer detaillierten kenntnisse der archäologie der Merowingerzeit habe ich
von Antje Kluge-Pinsker als Sparringspartnerin sehr proitiert. Auch dafür möchte ich meinen Dank aussprechen. und ein extra-dankeschön schulde ich annette Frey und Markus Scholz – sie wissen schon wofür.
Für all diejenigen, die trotz dieses Buches in ihren Händen immer noch gerne einen Blick in das Original
werfen, ist ein hochaulösender Scan der 1655 erschienenen Arbeit Chiflets auf der Homepage des RGZM
abzurufen.
Dieter Quast
Mainz, im September 2015
lIteratur
archäologie und Geschichtswissenschaft im dialog. Tübinger
Brulet 1990: r. Brulet (Hrsg.), Les fouilles du quartier Saint-Brice à
arch. Taschenbücher 9 (Münster 2011) 23-44.
Tournai. L’environnement funéraire de la sépulture de childéric 1.
collect. arch. Joseph Mertens 3 = Publ. Hist. art et arch. univ.
Fischer / Lind 2015: S. Fischer / L. Lind, The coins in the grave of king
catholique Louvain 73 (Louvain-la-neuve 1990).
Childeric. Journal Arch. and Ancient Hist. 14, 2015, 2-36.
1991: r. Brulet (Hrsg.), Les fouilles du quartier Saint-Brice à
Halsall 2001: G. Halsall, childeric‘s Grave, clovis‘ Succession, and
Tournai. L’environnement funéraire de la sépulture de Childéric 2.
the Origins of the Merovingian Kingdom. In: R. W. Mathisen / D.
collect. arch. Joseph Mertens 7 = Publ. Hist. art et arch. univ.
Shanzer (Hrsg.), Society and culture in Late antique Gaul. reviscatholique Louvain 79 (Louvain-la-neuve 1991).
ing the Sources (Aldershot u. a. 2001) 116-133.
eggert 2011: M. k. H. eggert, Über archäologische Quellen. In: S.
Jungandreas 1981: RGA² 4 (1981) 440-460 s. v. Childerich von
Burmeister / N. Müller-Scheeßel (Hrsg.), Fluchtpunkt Geschichte.
Tournai. I. § 1. der name (W. Jungandreas).
5
eggert 2011.
VIII
dIeTer QuaST
Der QuelleNwert Der AnAstAsis chIffletS
Die bereits zwei Jahre nach der Aufindung des Childerichgrabes erschienene Publikation von J.-J. Chiflet
ist von enormer Bedeutung, denn alle Funde werden mit Abbildung und auch mit kurzer Beschreibung
vorgelegt 1. Eine Überprüfung der Abbildungen mit den erhaltenen Funden zeigt, wie genau die Darstellungen sind 2. Sie sind eine einzigartige, wertvolle Quelle. Dennoch sollte man nicht davon ausgehen, dass
es sich dabei um einen Ausgrabungsbericht handelt, da Chiflet sein Buch mit einer bestimmten Intention
geschrieben hat – und diese war eben nicht eine wertfreie, möglichst objektive Beschreibung des Befundes
und der Funde. Chiflet instrumentalisiert das Childerichgrab vielmehr, um in seinerzeit aktuellen politischen
Diskussionen Partei zu ergreifen 3. Chiflet bezieht klar Stellung in der Frage, ob die Habsburger oder die
französischen Könige die Nachfolger Karls des Großen seien, und zwar – kaum verwunderlich – zugunsten
der Habsburger, ist doch Erzherzog Leopold Wilhelm als Mäzen des Buches genannt. Fritz Wagner hat das
in seinem Beitrag sehr deutlich herausgearbeitet.
Drei unterschiedliche Punkte müssen beachtet werden, wenn man den Wert der Anastasis als Quelle analysiert:
1. Chiflet war nicht bei der Entdeckung und der tumultuarischen Ausgrabung zugegen. Alle seine Informationen stammen aus zweiter und dritter Hand. So hat sein Sohn Johann mit dem Dekan Patte
gesprochen und diese Inhalte an Chiflet weitergegeben. Ob und gegebenenfalls wann die Gespräche
verschriftlicht wurden, ist unbekannt, ebenso wann und wie sie an Chiflet weitergegeben wurden 4.
Völlig unklar ist natürlich, wie suggestiv nachgefragt wurde.
2. Chiflet hatte keinesfalls vor, eine objektive Beschreibung zu liefern. Seine Arbeit folgte einem politischen
Ziel. Die Beschreibung der einzelnen Funde und die zugehörigen Abbildungen sind nachprüfbar von
hoher Qualität, aber in einigen Fällen wäre zu überdenken, ob nicht die Anzahl etwa der Bienen zu hoch
angegeben wurde. Gerade diese Beschläge spielen die herausragende Rolle in Chiflets Argumentation:
Chiflets Interpretation zufolge war das gesamte Pferdegeschirr mit diesen merowingischen Wappentieren verziert, und die von ihm genannte Zahl von über 300 Bienen 5 entsprach vermutlich seinen Kenntnissen heraldisch verzierten Zaum- und Sattelzeugs. Vielleicht kannte er sogar eine Darstellung Ludwigs XII.
(1498-1515) bei seinem Sieg über Genua 1507. Waffenrock und Schabracke des Königs – beide weiß –
waren mit zahlreichen goldenen Bienen und einigen Bienenkörben bestickt 6 (abb. 1). Zumindest erwähnt
Chiflet, dass Ludwig XII. die Bienen als Symbol verwendet hat, und weist in diesem Kontext auch auf den
Sieg über Genua hin 7. Konkret genannt werden 27 Exemplare, die dem Stadtrat übergeben worden waren, und »einige«, die Chiflets Sohn aus Privatbesitz der Bewohner Tournais zurückgewinnen konnte 8.
Chiflet 1655. – Die Tafeln der Publikation von Chiflet wurden
erst 1980 für die Ausstellung »Gallien in der Spätantike« im
RGZM (Kat. Mainz 1980, 242 f.) koloriert veröffentlicht, um einen Eindruck von der Farbigkeit der Funde zu vermitteln.
2 Deutliche Abweichungen liegen bei der Darstellung des Siegelbildes vor, wie ein Vergleich der Originalabdrücke mit der Abbildung bei Chiflet zeigt. Warum die Abbildung bei Chiflet
abweicht, ist nicht mehr zu klären. Kleinere Abweichungen sind
auch bei den kleinen Bienen festzustellen.
1
3
4
5
6
7
8
Vgl. zur barocken Geschichtsschreibung z. B. Coreth 1950, 9-27.
35 f. – Kraus 1968.
Vgl. allg. zum »Schleier der Erinnerung« Fried 2004.
Chiflet 1655, 38 »apes multae … supra trecentas«.
Tavoillot / Tavoillot 2015, 139 Taf. 14.
Chiflet 1655, 328.
Ebenda 39 (»apes aureas septem & viginti«). 48 (»apes aliquot
aureas«).
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
71
Vermutlich haben genau diese Angaben Joachim Werner zu der Vermutung veranlasst, dass ursprünglich
wohl »nur« ca. 30 dieser kleinen insektenförmigen Beschläge vorhanden gewesen waren 9. Zu beweisen
ist das nicht, aber meiner Meinung nach sind die Zweifel an der enormen Anzahl der Bienen durchaus
berechtigt.
3. Chiflet demonstriert in seiner Publikation vor allem seine enorme Kenntnis antiker Quellen, aus denen er
Beispiele für alle Themen beisteuert. In einigen Fällen dienen sie der Interpretation der geborgenen Objekte, auch wenn die Funktion eines Fundes durchaus kenntlich war, wie beispielsweise bei der Franziska
oder den Schnallen. Man darf nicht vergessen, dass Chiflet keinerlei Vergleichsmaterial zur Verfügung
stand. Seiner Rekonstruktion der Zwiebelknopfibel als Schreibgriffel (»Graphiarium«) folgt konsequent
die Suche nach Resten der Schreibtafel im Fundmaterial, denn beides bildete ein Set, wie er aus den
Quellen wusste 10. Das »Elfenbein der Schreibtafel König Childerichs sei durch die Widrigkeiten so vieler
Jahrhunderte verrottet«, doch glaubte er in den Riemendurchzügen der Spathascheide Randbeschläge
der Tafel zu erkennen 11. Wie wir heute wissen, ist die von Chiflet vorgestellte Rekonstruktion falsch,
denn mittlerweile gibt es Vergleichsfunde, die eine korrekte Ansprache ermöglichen. Dennoch zeigt sich
an diesem Beispiel das Vorgehen Chiflets.
Sollten vor diesem Hintergrund nicht auch weitere Interpretationen Chiflets nicht unbedingt als Fakten
gewertet werden, auch wenn sie uns heute möglich erscheinen? Könnte die Deutung des goldenen Stierkopfes als Stirnschmuck eines »Kriegspferdes« nicht von der Beschreibung des Pferdes Alexanders des Großen, Bucephalos, inspiriert sein? Es sei nochmals an die komplexe Befundlage in Tournai erinnert. Von der
Aufindung des Pferdekopfes und der darauf noch haftenden Stierkopfapplike berichtet der Dekan Patte ja
anscheinend erst bei späterer Befragung. Vielleicht ist der Lage des Childerichgrabes nahe der mittelalterlichen Kirche samt Außenfriedhof auch das Vorkommen des Fragmentes eines zweiten Schädels geschuldet,
das Chiflet dem mitbegrabenen Reitknecht zuordnet 12 – wiederum nach ausführlicher Zusammenstellung
antiker Schriftquellen. Später wurde der Schädel als Hinweis auf eine mitbestattete Frau, vermutlich Basina,
gesehen 13.
Die angedeuteten Zweifel an der Zuverlässigkeit der oftmals interpretierenden Aussagen Chiflets können
eben diese Aussagen kaum widerlegen, doch sollte man bei der Benutzung der Publikation stets vor Augen
haben, dass es sich dabei eben nicht um eine objektive Grabungsdokumentation handelt.
Werner 1971, 45 (mind. 30, keinesfalls 300); 1983 (»etwa 30«);
1992, 149 (»mindestens 30«). – Vgl. Quast 2003, 597 f. – Böhner 1981, 441 f.
10 Chiflet 1655, 181-194 mit Abb. auf S. 182.
9
72
Ebenda 193-195 mit Abb. auf S. 194.
Ebenda 230.
13 Böhner 1981, 442. 458.
11
12
D. Quast · der Quellenwert der Anastasis Chiflets
abb. 1 Jean Marot, La Magnanime Victoire du
Roy très chrestien Louis XII contre Gênes, Manuskript von 1508. Der weiße Waffenrock und die
Schabracke sind mit goldenen Bienen und Bienenkörben bestickt. – (Nach Tavoillot / Tavoillot
2015, Taf. 14).
lIteratur
Böhner 1981: RGA² 4 (1981) 441-460 s. v. Childerich von Tournai.
III. Archäologisches (K. Böhner).
Kraus 1968: A. Kraus, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung.
Hist. Jahrb. 88, 1968, 54-77.
Chiflet 1655: Anastasis Childerici I. Francorum regis, sive thesaurus
sepulchralis Tornaci Nerviorum effossus, & commentario illustratus. Auctore Ioanne Iacobo Chiletio, equite, regio archiatrorum
comite, & archiducali medico primario (Antverpiae 1655).
Quast 2003: D. Quast, Childerichs Schwertgurt – Ein neuer Rekonstruktionsvorschlag. Arch. Korrbl. 33, 2003, 597-614.
Coreth 1950: A. Coreth, Österreichische Geschichtsschreibung
in der Barockzeit (1620-1740). Veröff. Komm. Neuere Gesch.
Österreich 37 (Wien 1950).
Fried 2004: J. Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer
historischen Memorik (München 2004).
Kat. Mainz 1980: Gallien in der Spätantike. Von Kaiser Constantin
zu Frankenkönig Childerich [Ausstellungskat.] (Mainz 1980).
Tavoillot / Tavoillot 2015: P.-H. Tavoillot / F. Tavoillot, L’Abeille (et
le) Philosophe. Étonnant voyage dans la ruche des sages (Paris
2015).
Werner 1971: J. Werner, Neue Analyse des Childerichgrabes von
Tournai. Rhein. Vierteljahrsbl. 35, 1971, 43-46.
1983: LexMA 2 (1983) 1820 s. v. Childerichgrab (J. Werner).
1992: J. Werner, Childerichs Pferde. In: H. Beck / D. Ellmers /
K. Schier (Hrsg.), Germanische Religionsgeschichte. Quellen und
Quellenprobleme. RGA Ergbd. 5 (Berlin, New York 1992) 145161.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
73
dIeTer QuaST
lage uND eNtDeckuNg DeS chIlDerIchgraBeS
Die Entdeckung des Childerichgrabes wurde von Chiflet im zweiten Kapitel der Anastasis beschrieben. Am
27. Mai 1653 stieß man »in der dritten Stunde des Nachmittags« beim Bau des neuen Armenhauses wenig
nördlich der Kirche auf der »Terrasse Saint-Brice« auf das Grab des Königs. Die Fundstelle lag am rechten
Scheldeufer, ca. 200 m vom spätantiken Kastell Tornacum entfernt, nahe einer römischen Fernstraße 1. eine
Tafel mit der Jahreszahl 1653 in der Fassade der Häuser 7 und 8 wies lange Zeit auf die Fundstelle hin. Sie
wurde anlässlich des Congrès archéologique in Tournai 1895 ersetzt durch eine Inschrift, die sich über dem
Eingang des Hauses 7 beindet: »CHILDERICH ROI DES FRANCS MORTUIT EN SON PALAIS DE TOURNAI L’AN
481 SON TOMBEAU FUT RETROUVE EN CET ENDROIT EN L’ANNEE 1653«. Raymond Brulet ist in seinem
Beitrag ausführlich auf die Lage und die Topographie Tournais im 5. Jahrhundert eingegangen; eine Wiederholung an dieser Stelle ist unnötig.
Das Grab wurde von dem gehörlosen Steinmetz Adrien Quinquin entdeckt, der zunächst auf eine goldene Schnalle und »ein rundes Nest aus mürbem Leder« mit mehr als hundert goldenen Münzen stieß 2.
Nachdem er die Nachbarschaft auf seinen Fund aufmerksam gemacht hatte, müssen mehrere Menschen
dorthin gekommen sein und auch Funde an sich genommen haben. Chiflet schreibt, dass der Dekan von
St. Brice, Gilles Patte, und zwei Küster, Johannes von Berlo und Nicasius Rogers, zur Fundstelle kamen und
sich bemühten, alles was zum »Schatz« gehörte für ihre Kirche und für das Armenhaus sicherzustellen 3. an
anderer Stelle erwähnt er, dass er seinen Sohn Johann beauftragt habe, mit »Bitten und Bezahlung« in den
Besitz der Objekte zu kommen, die andere – »sogar Dienstmägde« – »heimlich aufbewahrten« 4.
Doch bleiben wir in der zeitlichen Reihenfolge. Zunächst einmal waren es Patte und seine beiden Küster,
die sich um die Sicherstellung der Funde bemühten. Als sich die Nachricht von der Aufindung des Grabes
verbreitete, forderte der Stadtrat die Funde ein, doch die Geistlichen überbrachten nur einen Teil der Funde
(u. a. den Siegelring), den größten Teil behielten sie zurück 5. Mehrere kirchliche Würdenträger, darunter der
Dekan und der Schatzmeister der Kathedrale, aber auch der Sohn von Chiflet, der Kaplan der Hofkapelle
des Erzherzogs in Tournai war, nahmen Lehmabdrücke des Siegels. Johann schickte einen dieser Abdrücke
an seinen Vater, nach Brüssel, der ihn dem Erzherzog zeigte 6. Dieser berichtete Leopold Wilhelm von dem
Fund, der in einem Brief an den Stadtrat um die Herausgabe der Funde bat, die diesem vom Dekan von
St. Brixius, Gilles Patte, überbracht worden waren. Der Senator Ioannes Bargibautius kehrte »beschenkt mit
einer goldenen Kette, einer geweihten Fürstenmünze und einem Brief« nach Tournai zurück, in dem dem
Stadtrat für die wertvollen Schätze gedankt wurde 7.
Am 10. November 1653 kam Leopold Wilhelm nach Tournai und beauftragte Johann Chiflet damit, Kontakt mit dem Dekan und den Küstern von St. Brixius aufzunehmen und eine Audienz beim Erzherzog zu
R. Brulet, Tournai au Bas-Empire Romain et au Haute Moyen
Âge. In: R. Brulet, Les Fouilles du Quartier Saint-Brice à Tournai. L’environnement funéraire de la sépulture de Childéric 1.
Collect. Arch. Joseph Mertens 3. Publ. Hist. Art et Arch. Univ.
Catholique Louvain 73 (Louvain-la-Neuve 1990) 11-14 Abb. 6.
2 Anastasis Childerici I. Francorum regis, sive thesaurus sepulchralis Tornaci Nerviorum effosus, & commentario illustratus. Auc-
1
3
4
5
6
7
tore Ioanne Iacobo Chiletio, equite, regio archiatrorum comite,
& archiducali medico primario (Antverpiae 1655) 37 f.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 38.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 42. 48.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 39.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 39 f.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 40.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
97
versprechen. Diese fand bereits am Abend desselben Tages statt und Johann trug das Gesuch vor: Sie baten
um eine inanzielle Unterstützung für den Neubau des Armenhauses. Zusätzlich dazu befahl Leopold Wilhelm, dass dem Finder Adrien Quinquin sechs Golddublonen zu übergeben seien 8.
Als der Erzherzog nach Brüssel zurückkehrte hatte er alle drei Teile in seinen Besitz genommen: den des
Stadtrates, den der Kirche und denjenigen, der aus den von Johann Chiflet erworbenen Objekten bestand.
In Brüssel angekommen übergab er die Funde sofort seinem Leibarzt Johann Jacob Chiflet zur Publikation 9.
Wenngleich im 19. Jahrhundert vereinzelte Nachuntersuchungen im Bereich um die Fundstelle stattfanden,
so haben erst die großlächigen Ausgrabungen in den 1980er Jahren durch Raymond Brulet einen Erkenntnisgewinn erbracht, der es erlaubt, das Königsgrab in seinen Kontext einzubetten 10.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 43 f. 47.
Chiflet 1655 (Anm. 2) 48.
10 R. Brulet, Les Fouilles du Quartier Saint-Brice à Tournai.
L’environnement funéraire de la sépulture de Childéric 1. Collect. Arch. Joseph Mertens 3. Publ. Hist. Art et Arch. Univ. Catholique Louvain 73 (Louvain-la-Neuve 1990). – R. Brulet, Les
8
9
98
Fouilles du Quartier Saint-Brice à Tournai. L’environnement
funéraire de la sépulture de Childéric 2. Collect. Arch. Joseph
Mertens 7. Publ. Hist. Art et Arch. Univ. Catholique Louvain 79
(Louvain-la-Neuve 1991). – Vgl. den Beitrag Brulet in diesem
Band.
D. Quast · Lage und entdeckung des childerichgrabes
dIeTer QuaST
Der graBBau
Genaue angaben zum Grabbau liegen nicht vor, obwohl in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche rekonstruktionszeichnungen publiziert wurden. drei Fragen sind immer wieder von Bedeutung:
• Gab es einen Grabeinbau (Kammer)?
• War das Grab oberirdisch gekennzeichnet (Hügel)?
• Wer außer Childerich war noch bestattet (Frau, Pferd)?
Weitere Fragen nach dem Bestattungsritus und den Besonderheiten des Bestattungsplatzes 1 können hingegen als geklärt gelten. es handelt sich eindeutig um ein Körpergrab; Chiflet nennt die Skelettreste eines »fünfeinhalb
Fuß«, d. h. 1,78 m großen Mannes 2. Skelettreste sind nicht erhalten, lediglich
ein Zahn (abb. 1) wird gelegentlich angeführt, allerdings nicht bei Chiflet 3.
die orientierung des Grabes ist nicht angegeben.
Bevor versucht wird, die drei genannten Fragen zu beantworten, gilt es sich
vorab zwei Determinanten zu vergegenwärtigen. Zum einen hat Chiflet
seinen Bericht als interpretierende Beschreibung verfasst; seine breit dargelegten Kenntnisse antiker Quellen dienen ihm oft dazu, die archäologischen
reste entsprechend zu deuten 4. Zum anderen wurde bei den Grabungen der
1980er Jahre offenkundig, wie schwierig die Befunde im Einzelnen anzusprechen sind, liegt doch in Tournai eine nutzung von der römischen Zeit bis in
die Neuzeit vor. Das Childerichgrab kam zudem im Bereich des Kirchhofes von
Saint-Brice zutage 5. Es ist kaum zu erwarten, dass bei der zufälligen, tumultuarischen Entdeckung im Jahr 1653 »nur« das Grab des fränkischen Königs
geöffnet wurde, ohne dass andere, benachbarte Befunde in Mitleidenschaft
gezogen wurden.
Allerdings haben die Ausgrabungen der 1980er Jahre ein paar scheinbare
Gewissheiten erbracht, nämlich dass das Grab überhügelt gewesen sein soll.
einen Tumulus hatte bereits ernest Babelon vermutet, und alain erlande-Brandenburg schloss sich dieser Annahme an, doch fehlt ein stichhaltiger Nachweis 6. Es war wohl eher die Vermutung, ein heidnischer König müsse unter abb. 1 Zahn aus dem Grab
einem Hügel bestattet worden sein. Die modernen Grabungen haben nun Childerichs (mit moderner Monaufgezeigt, dass das Grab Childerichs innerhalb eines merowingerzeitlichen tierung auf Golddraht). – (Nach
Peigné-Delacourt 1860, Taf. 4,
Reihengräberfeldes angelegt worden war, also keinesfalls eine separierte Ein- 34).
1
2
Vgl. Beitrag Quast, entdeckung in diesem Band.
Chiflet 1655, 85. – Das Längenmaß »Fuß« variierte in unterschiedlichen Regionen, liegt aber zumeist zwischen 28 und
32 cm. Böhner 1981, 442 legte seinen Umrechnungen den »Pariser Königsfuß« von 32,48 cm zugrunde. Die Umrechnungen
Böhners wurden von anderen Autoren übernommen und ich
folge ihm hier auch, um keine unnötigen Verwirrungen zu stiften. Vgl. zu weiteren Fuß-Größen auch Trapp 1998, 231 f.
Dumersan 1840, 30 Nr. A9. – Cochet 1859, 49. – Peigné-Delacourt 1860, 8 Nr. 9 Taf. 4, 34.
4 Vgl. Beitrag Gietzen, Übersetzung in diesem Band.
5 Brulet / Coulon 1990, 25 f.
6 Babelon 1919-1923, 45. – Erlande-Brandenburg 1975, 175.
3
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
157
abb. 2 Tournai. Pferdegräber CV 1 (1) und CV 3 (2) mit den sie überlagernden Männergräbern 39 und 54. – (Nach Ghenne-Dubois
1991, 26 Abb. 10; 30 Abb. 16).
zelbestattung war, wie man bis dahin stets geglaubt hatte 7. doch trotz der engen Belegung war um das
Grab des Königs herum eine freie Fläche ohne Bestattungen angetroffen worden. Diese Fläche, so die derzeitige Forschungsmeinung, entspreche dem Grabhügel über dem Grab Childerichs. Zwar nicht unmittelbar
am Hügelfuß 8, aber in geringer Entfernung davon, fanden sich drei Gruben mit insgesamt 21 Pferden:
Grab CV 3 (2,2 m × 2,7 m) mit zehn Pferden, Grab CV 1 (2,6 m × 3,0 m) mit sieben Pferden und Grab CV 2
mit Skelettresten von mindestens vier Tieren 9. 14C-Datierungen deuten auf einen Zusammenhang mit dem
Königsgrab hin 10. Zudem wurden zwei der Pferdegräber in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts durch
Männerbestattungen überlagert (CV 1 durch Grab 39; CV 3 durch Grab 54) (abb. 2) 11. Beide Männergräber sind durch Schilddornschnallen datiert 12. Joachim Werner hat die Pferde als Opfer im Rahmen der
Bestattungsfeierlichkeiten gedeutet, die das Heidentum Childerichs belegen 13.
Eine Rekonstruktion des Childerichgrabes mit hölzerner Grabkammer, darauf liegendem Pferd – und das
Ganze überhügelt – indet sich im Katalog der großen Frankenausstellung in Mannheim; dort war auch ein
lebensgroßes Modell zu sehen 14. Zwei der eingangs formulierten Fragen wären damit beantwortet. Doch
halten diese Ergebnisse einer kritischen Überprüfung stand?
Ein Grabhügel als oberirdische Kennzeichnung wäre durchaus denkbar. Michael Müller-Wille hat die Großgrabhügel der Völkerwanderungszeit zusammengestellt, die weit gestreut auftreten. Das Childerichgrab ist
aber der einzige Nachweis des 5. Jahrhunderts aus dem (ehemaligen) weströmischen Reichsgebiet. Alle wei-
Werner 1935, 123. – Ament 1970, 62. – Böhme 1994, 72
Anm. 20. – Unentschieden noch Werner 1992, 150 f.
8 Zwischen den Pferdegräbern und dem Childerichgrab lagen
mehrere merowingerzeitliche Körpergräber. Brulet / Coulon
1990, 29 Abb. 25.
9 Ghenne-dubois 1991.
7
158
D. Quast · der Grabbau
Gilot 1991. – Werner 1992, 154.
Ghenne-dubois 1991.
12 Brulet / Vilvorder 1990, 174 Taf. 18; 178 Taf. 22.
13 Werner 1992, 156. 161.
14 Kat. Mannheim 1997, 879-881 Nr. V.1.1a. – Vgl. Beitrag Ament
in diesem Band, abb. 15.
10
11
teren Belege dieser Zeit liegen tief im Barbaricum 15.
Erst im 6. Jahrhundert treten Überhügelungen im
Merowingerreich auf, allerdings auch dort zumeist
nur indirekt durch Kreisgräben zu erschließen 16. ein
Grabhügel über dem Grab des fränkischen Königs
wäre zwar denkbar, durch die untersuchungen der
1980er Jahre aber dennoch nicht zu beweisen. Betrachtet man nämlich den Plan der Ausgrabungen,
so zeigt sich, dass das Childerichgrab (dessen Lage
auch nicht ganz genau einzumessen ist) und die umliegenden Flächen sich jenseits der Grabungsgrenzen beinden (abb. 3) 17.
Mit denselben Unsicherheiten ist die rekonstruierte
Holzgrabkammer behaftet. Chiflet gibt für die Tiefe
des Grabes »sieben oder mehr Fuß« an, d. h. mehr
als 2,27 m; die Funde waren im Umkreis »von etwa
fünf Fuß« (1,62 m) verteilt gewesen 18. Geht man
davon aus, dass die fünf Fuß die Breite der Grube
angeben, so könnte man dies durchaus als Hinweis
auf eine Kammer werten; es könnte aber ebenso
gut die Länge gemeint sein. Nun wird man eine über
2 m tiefe Grabgrube nicht einfach in Sargbreite von
ca. 80-100 cm in die Tiefe treiben können, doch bedeutet ein breiterer Schacht nicht automatisch, eine
Kammer sei eingebaut gewesen. Chiflet erwähnt
über die Maße hinaus: »Childerich muss also ein hölzernes Grabmal besessen haben und einen Überzug abb. 3 Grabungslächen (schwarz) der Jahre 1983-1986. Die
Lage des Childerichgrabes ist mit dem Dreieck markiert. Die Fläaus Eisen, dessen Überreste man so am Holz haftend chen F, G und H erbrachten aufgrund tiefgründiger, moderner Stöfand, dass man das eine von dem anderen kaum rungen keine Befunde. – (Nach Brulet / Coulon 1990, 28 Abb. 24).
trennen konnte« 19. ob sich hinter dieser Beobachtung ein eisenbeschlagener Holzsarg verbirgt, wie etwa aus dem über 100 Jahre jüngeren Grab aus Civezzano (prov. Trento / I) bekannt, muss dennoch unklar bleiben 20. Denkbar wäre auch, dass Chiflet einfach
die Reste des eventuell auf dem Sarg liegenden Schildes mit Buckel und Fessel nicht als solche erkannt hat.
Aus der knappen Beschreibung lassen sich also keine sicheren Rückschlüsse auf den Grabbau gewinnen. Ein
Sarg ist wahrscheinlich, eine Kammer nur möglich. Mit einiger Sicherheit wird man ausschließen können,
dass Childerich in einem Sarkophag bestattet war, denn ein solcher wäre sicherlich bemerkt und erwähnt
worden.
Ein Vergleich mit anderen Prunkgräbern des 5. Jahrhunderts kann zeigen, welche Formen von Grabbauten überhaupt üblich waren. Dabei erscheint es sinnvoll, nicht nur chronologisch zwischen der ersten und
zweiten Jahrhunderthälfte zu trennen, sondern auch räumlich zwischen den Gebieten des (ehemaligen)
Müller-Wille 1992; 1997.
Ament 1974. – Haas-Gebhard 1998, 101. – Böhme 1993, 523 f.
Abb. 101.
17 Brulet / Coulon 1990, 28 Abb. 24. – In diesem Sinne bereits
Werner 1992, 150. Darauf wies auch schon Haas-Gebhard
1998, 99 Anm. 641 hin.
Chiflet 1655, 38. – Zur Maßangabe »Fuß« vgl. Anm. 2.
Chiflet 1655, 49.
20 Terzer 2001, 198-215.
15
18
16
19
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
159
Weströmischen Reiches und jenen östlich des Rheins und nördlich der Donau. Jenseits des Limes sind Kammergräber für die gesamte römische Kaiserzeit nachzuweisen 21. Sie sind ein charakteristisches Merkmal der
Prunkgräber. In einem Teil der Kammer waren zumeist umfangreiche Gefäßsätze deponiert.
Allem Anschein nach wurden Kammergräber im Barbaricum im 5. Jahrhundert seltener. Die jüngsten Männergräber datieren in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts, z. B. die Befunde aus Kemathen (Lkr. Eichstätt),
Frankfurt-Praunheim »Ebel« Kriegergrab von 1926 und Zwochau (Lkr. Nordsachsen) 22. etwas länger werden Frauen in Holzkammern beigesetzt, die mit einer Breite von 1,2 m aber kaum an die älteren Kammern
anschließen. Einige Belege aus dem dritten Viertel des 5. Jahrhunderts sind aus dem unteren Maingebiet
bekannt 23. Insgesamt sind die Prunkgräber der zweiten Jahrhunderthälfte aber eher als relativ schmale
Grabgruben angelegt. Zwar sind die Befunde beispielsweise für die Goldgriffspathengräber nicht immer
ausreichend dokumentiert, doch sind Kammern in keinem Fall nachzuweisen 24. Zu diskutieren wäre hingegen die Zeitstellung des Großgrabhügels Žuráň (okr. Brno-venkov / CZ), der zumeist in die Zeit um 500
datiert wird, aber meiner Meinung nach aufgrund der Gläser eher der Zeit um 400 zuzuweisen ist 25. Zu den
Gräbern aus Apahida (jud. Cluj / RO), die aufgrund ihrer Ausstattung die besten Vergleiche zum Childerichgrab darstellen, gibt es nur ungenügende Befundbeobachtungen, doch deutet sich zumindest für Grab II
eine schmale Grabgrube an 26. Eine Ausnahme bildet das Doppelgrab aus Teterow (Lkr. Güstrow) 27.
Die kurze Zusammenschau verdeutlicht, dass Grabkammern im Barbaricum nur bis in die erste Hälfte des
5. Jahrhunderts hinein üblich waren und ab der Jahrhundertmitte fehlen. Erst im 6. Jahrhundert treten sie
wieder auf 28.
Westlich des Rheins sind Kammergräber des 4. Jahrhunderts in einiger Zahl aus Krefeld-Gellep überliefert 29.
Christoph Reichmann konnte aufzeigen, dass in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts »voll ausgebildete«
Kammern zugunsten »sargloser« Kammern zurückgingen. In Gellep waren die Spuren von Kammern und
Särgen in den Böden gut zu dokumentieren, ebenso in Tongeren (prov. Limburg / B) 30. Von anderen Fundstellen sind sehr breite Grabgruben bekannt, ohne dass aufgrund der Erhaltung irgendwelche Einbauten
nachgewiesen werden konnten 31. Große Holzkammergräber waren also nicht unbekannt in der Belgica und
in der Germania inferior. Im 5. Jahrhundert ist das Phänomen Kammergrab aber deutlich rückläuig. Zu den
wenigen bekannten Befunden zählt das Kriegergrab aus Vermand (dép. Aisne / F), in dem der Tote in einem
Sarkophag in einer aus Bruchsteinen gemauerten Kammer bestattet war 32. Im Gegensatz zu den anderen
Befunden war in Vermand kein umfassendes Gefäßset beigegeben worden. Dasselbe gilt für die beiden
Kammergräber 9 und 43 aus Krefeld-Gellep, die bereits in die Mitte bzw. die Zeit nach 450 datieren 33. In
ihnen fand sich »nur« die persönliche Ausstattung der Beigesetzten, ergänzt bestenfalls durch ein Gefäß,
zumeist einen Trinkbecher. Diese Beigabensitte ist geradezu »normativ« für die Gräber der zweiten Hälfte
des 5. Jahrhunderts und auch für die Goldgriffspathengräber bestimmend.
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24
25
Im Folgenden benenne ich nur einbauten mit einer Breite von
über 2 m als Kammergrab. Vgl. zu kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Kammergräbern Bemmann / Voß 2007, 162175 Fundliste 1. – Quast 2009, 126-128 Abb. 9-10. – AbeggWigg / Lau 2014.
Keller / Rieder 1991. – Steidl 2000, 233 f. Taf. 50-51. – Kraft / Balfans 1997. – Meller 2000, 67 mit Abb. des Grabinventars.
Christlein / Wamser 1980, 152 f. Abb. 125. – Stein 1993, 9
anm. 19.
Zuletzt Brather 2014, 580-583. – Zur »vermeintlichen« Kammer
aus Pleidelsheim Grab 71 (Lkr. Ludwigsburg) vgl. Koch 2001,
105-109.
Poulík 1995, 53-63; zur Datierung vgl. Tejral 2007, 956-962. –
Zuletzt Tejral 2009, 132-138. 153 f. mit Datierung in das frühe
6. Jh. und der Bewertung der Gläser als antiquitäten.
160
D. Quast · der Grabbau
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33
Horedt / Protase 1972, 175 Abb. 3-4.
Schmitz-Pillmann 1997 (mit älterer Lit.).
Stein 1993.
Reichmann 2014. – Zu den Kammergräbern des 1.-3. Jhs. in
den nordwestlichen Provinzen vgl. Abegg-Wigg 2014.
Vanvinckenroye 1984, 20 f. 64 f. 81. 86 f. Taf. 14. 19-20 (Gräber
7, 99, 129, 141, 179).
Vgl. z. B. Loizel 1977, 157. – Lemant 1985, 25-27 (tombe 25). –
Seillier 1989, 604 (tombes 205A; 210A; 211A). – Wichtige Hinweise verdanke ich H. W. Böhme (Mainz).
Pilloy 1895, 40. – Böhme 1974, 331; zuletzt 2000.
Pirling 1966, Taf. 130.
Zusammenfassend ist also nachzuweisen, dass Kammergräber in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts
eine Ausnahmeerscheinung waren, die zudem auf wenige Frauenbestattungen beschränkt war. Vor diesem Hintergrund ist es sehr unwahrscheinlich, dass Childerich in einer breiten Holzgrabkammer beigesetzt
worden war. Eher ist eine schmale Grabgrube zur Aufnahme eines Sarges zu vermuten, ähnlich wie auch
in apahida Grab II.
Auch die letzte eingangs gestellte Frage, nämlich wer außer Childerich noch im Grab bestattet war, wird
vermutlich weiterhin konträr diskutiert werden. Das von Chiflet erwähnte Fragment eines zweiten Schädels
ist vielleicht der Lage des Königsgrabes nahe der mittelalterlichen Kirche samt Außenfriedhof geschuldet.
Wurde das Fragment von Chiflet noch dem mitbegrabenen Reitknecht zugewiesen, galt es später als Hinweis auf eine mitbestattete Frau, vermutlich Childerichs Frau Basina 34. Zwei objekte aus dem Grab wurden
dieser postulierten Mitbestattung zugewiesen: die goldene Nadel und die Bergkristallkugel. Die Nadel hatte
bereits Hermann Ament überzeugend als Teil der Militärausstattung Childerichs gedeutet 35. Für die Bergkristallkugel wurde vor wenigen Jahren eine Interpretation als oberer abschluss eines spätantiken Zepters
vorgeschlagen, der ich hier nicht widersprechen kann 36. Wenn man dieser Rekonstruktion nicht folgen
will, muss man sich vergegenwärtigen, dass Bergkristallkugeln in Frauengräbern erst gut eine Generation
später als Amulette auftreten und in Metallbänder gefasst sind 37. Eine weitere Beobachtung ist auffällig:
Für zeitgleiche Frauengräber übliche Beigaben wie Fibeln, Nadeln und Ringschmuck fehlen im Grab. Die
Mitbestattung einer Frau erscheint daher kaum nachweisbar.
Wie ist nun der erwähnte Pferdeschädel zu bewerten? War er der erhaltene Rest eines kompletten Pferdes,
oder gelangte nur der Schädel ins Grab 38? Die oben erwähnte Rekonstruktion der Grabkammer mit darauf
liegendem Pferd geht klar von einem mitbestatteten Pferd aus. Es gibt nur wenig vergleichbare Befunde aus
dem thüringischen Raum und aus dem langobardenzeitlichen Niederösterreich. In Hauskirchen (polit. Bez.
Gänserndorf / A) Grab 13 handelt es sich um ein gestörtes Kammergrab von 2 m × 3,2 m, in dessen Verfüllung zwischen 1,85 m und 3,1 m Tiefe sich die Reste zweier Pferdeskelette fanden. Die Sohle der Grabgrube
mit der Bestattung einer Frau zwischen 25 und 30 Jahren lag auf einer Tiefe von 3,6 m. Hier fand sich
auch das Pferdegeschirr 39. Vollkommen gestört durch Beraubung war das Kriegergrab 9 aus Maria Ponsee
(Bezirkshauptmannschaft Tulln / A), in dessen Verfüllung sich oberhalb der menschlichen Bestattung Reste
eines Pferdeskelettes fanden. Die Trense war beim Schädel des Reiters deponiert worden 40. In deersheim
(Stadt Osterwieck, Lkr. Harz / D) waren die Pferde in zwei Gräbern (Grab 48 und 49) unterhalb der Bestatteten deponiert worden 41. Obwohl bereits Michael Müller-Wille vor über 40 Jahren zahlreiche Nachweise für
gemeinsame Bestattungen von Mensch und Pferd(eteilen) aulisten konnte, zeigt eine chronologisch differenzierte Betrachtung, dass derartige Gräber im 5. und 6. Jahrhundert selten und nahezu auf den thüringisch-langobardischen raum begrenzt sind 42. ein vergleichbarer geographischer Bezugsrahmen ergibt sich,
wenn man annimmt, dass im Grab Childerichs nur der Kopf eines Pferdes deponiert war. Ein altbekannter
Befund liegt aus Stößen (Burgenlandkreis / D) Grab 9 vor, wo ein Pferdschädel neben dem Bestatteten lag 43.
Hervorragend dokumentiert ist ein Befund aus Zeuzleben (Gem. Werneck, Lkr. Schweinfurt / D) Grab 5. Auf
der Kammerdecke waren eine enthauptete Stute und zwei Köpfe von Hengsten deponiert worden 44. Beide
genannten Gräber datieren in das beginnende 6. Jahrhundert. Während in Stößen Zaumzeug fehlte, war es
in Zeuzleben beim reiter niedergelegt 45.
34
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38
39
Chiflet 1655, 230. – Böhner 1981, 442. 458.
Ament 1970, 95.
Quast 2010.
Hinz 1966. – Heege 1987, 34 f. mit Anm. 94.
Vgl. hierzu bereits Lindenschmit 1860, 37.
Kat. Bonn 2008, 270-274. – Lauermann / Adler 2008, 302-305.
– Zum Pferdegeschirr vgl. auch Nowotny 2008.
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42
43
44
45
Kat. Bonn 2008, 275 f.
Schneider 1983, 109 f. 117 f. 289 f.
Müller-Wille 1970/1971, 128 (Nachweise aus dem 7./8. Jh.).
140-146. – Rettner 1998, 116.
Schmidt 1970, 22.
Rettner 1998, 116.
Rettner 1998, 119 Abb. 5.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
161
Es fehlt also nicht an Vergleichen für die Deponierung eines Pferdes oder eines Pferdeschädels auf dem
Grab Childerichs. Bei keinem der genannten Befunde war das Tier aber aufgezäumt, wie es für das Grab
in Tournai teilweise rekonstruiert wird. Dennoch: Ein Pferd oder nur dessen Schädel wäre im Rahmen des
Möglichen, ein Zweifel bleibt aber aufgrund der Überlieferung ebenfalls bestehen 46.
Für die Bestattungszeremonie ist das jedoch von untergeordneter Bedeutung, denn dass dabei ein blutiges
Ritual durch die Tötung von mindestens 21 Pferden vollzogen wurde, haben die Ausgrabungen der 1980er
Jahre bewiesen. Von Bedeutung ist aber, dass Childerich sehr wahrscheinlich nicht in einer großen Grabkammer beigesetzt wurde.
Da sicherlich eine große Personenzahl an den Feierlichkeiten teilnahm, ist damit zu rechnen, dass Childerich
außerhalb des Grabes aufgebahrt war, damit möglichst viele Menschen ihn in seinem »Ornat« sehen konnten. Die eigentliche Grablegung bildete vermutlich den krönenden Abschluss der von Chlodwig inszenierten
Bestattung. Dazu passt, dass Childerich eben »nur« mit seiner persönlichen Ausstattung und einigen Insignien im Sarg lag. Weitere wichtige Funktionsbereiche, die sich in älteren Kammergräbern inden – nämlich
umfangreiche Gefäßensembles, die entweder große Mengen an Speisebeigaben enthielten oder den Bestatteten als Ausrichter von Banketten charakterisieren –, spielten für den Toten, den Bestattenden und das
Publikum keine Rolle. Childerich wurde durch seine Kleidung und militärische Ausrüstung für jedermann
klar in seiner gesellschaftlichen Stellung gekennzeichnet. Die wichtigsten Teile der Zeremonie fanden gewiss
nicht am offenen Grab statt.
lIteratur
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162
D. Quast · der Grabbau
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dIeTer QuaST
DIe graBBeIgaBeN – eIN kOmmeNtIerter fuNDkatalOg
die Beigaben des childerichgrabes waren objekt zahlreicher wissenschaftlicher untersuchungen. Hermann
ament hat der Forschungsgeschichte eine ausführliche abhandlung in diesem Band gewidmet und die
bisherigen untersuchungen kritisch zusammengestellt. In ermangelung sorgfältiger Beobachtungen und
dokumentation des Befundes »ist die archäologische Wissenschaft aufgefordert, den Weg des erkenntnisfortschrittes durch Vergleichen mit ebensolchen oder zumindest ähnlichen Funden, also gewissermaßen
gestützt auf die krücken der analogie, weiter zu beschreiten«, wie ament formuliert 1.
Geben sich einige Funde – etwa die Schnallen, die Lanzenspitze oder die axt – auch dem Laien zu erkennen, so erfordern andere objekte schon eine genauere kenntnis spätantiker / völkerwanderungszeitlicher /
frühmerowingischer kleinfunde. Hilfreich ist dabei, dass mit Waffen ausgestattete Gräber seit der Mitte des
5. Jahrhunderts über eine gewisse Standardisierung verfügen. obligat waren Spatha mit zugehörigem Gurt,
Lanze, Schild, axt, Gürtel, in einigen regionen auch ein schmaler Langsax. Zaumzeug wurde im 5. Jahrhundert nur gelegentlich beigegeben. diese kenntnis erlaubte es Ludwig Lindenschmit aus den cloisonnierten
Scheidenbeschlägen Spatha und Sax zu rekonstruieren 2. und, um nur ein weiteres Beispiel anzuführen,
die deutung des lange Zeit als Hufeisen interpretierten eisenfragmentes als Teil des Schild(buckel)s beruht
zweifellos auf dem Wissen, dass ein Schild sicherlich zu der Grabausstattung gehörte, bis dahin aber nicht
erkannt worden war 3. andere Funde sind noch immer Gegenstand konträrer diskussionen. dabei handelt
es sich um eine Gruppe von Beschlägen, die wahlweise dem Zaumzeug oder dem Schwertgurt zugewiesen
werden (nr. 11), des Weiteren um die Funde, die als Belege für eine mitbestattete Frau in anspruch genommen werden (nr. 20 und 24).
die Beigaben wurden von kurt Böhner 1981 in verschiedene Gruppen gegliedert, zum einen die cloisonnéarbeiten nach stilistischen kriterien, insgesamt aber nach der Funktion der einzelnen objekte (Waffen,
Gewand und Schmuck, Münzen, Pferdegeschirr, Funde aus einem Frauengrab). eine etwas abweichende
Aufteilung indet sich im Katalog der 2001 in Mannheim gezeigten Ausstellung »Das Gold der Barbarenfürsten« (Insignien / Standessymbole, Waffen, Trachtaccessoires, reitzubehör und Pferdegeschirr, Gefäße,
Geräte / Toilettengeräte, Münzen). Problematisch ist dabei, dass eine Interpretation zugrunde liegt, die von
einer eindeutigen ansprache der Funde ausgeht. Besonders der Terminus Insignie / Standessymbol bereitet
Schwierigkeiten. Die goldene Zwiebelknopfibel kann für unterschiedliche Betrachter ganz unterschiedliche
Bedeutungen transportieren, etwa die soziale oder militärische Stellung, die Herkunft, die Gruppenzugehörigkeit. Ganz klar kennzeichnete sie mit dem zugehörigen paludamentum den Träger für seine Gefolgschaft
auch als »chef«, aber ist die Fibel deshalb eine Insignie oder Teil der kleidung, die ja wiederum genauso
kenntlich machte, welche Position childerich einnahm. die gleiche Polysemie kann anderen Funden aus
dem Grab innewohnen, ohne dass sie für den heutigen Betrachter deutlich sind (verzierte Waffen, Stierkopfanhänger). Lediglich zwei objekte wird man zweifellos einzig als Herrschaftszeichen ansprechen können, nämlich den Siegelring und das Zepter.
1
2
Vgl. Beitrag ament in diesem Band.
Lindenschmit 1880-1889, 236 f. abb. 166.
3
Chiflet 1655, 224 f. – Cochet 1859, 149-151. – Böhner 1981,
458. – Als Schildbuckel identiiziert von Andreas Schäfer: vgl.
Böhme 1994, 70 anm. 11. – koch / von Welck / Wieczorek 1997,
883.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
165
Im Folgenden werden die Funde aus dem Grab childerichs in einer etwas anderen Gruppierung vorgelegt
(A. Ringschmuck. – B. Kleidungszubehör. – C. Bewaffnung. – D. Insignien. – E. Teile des Königsschatzes. –
F. Sonstiges und funktional nicht eindeutig zuweisbare Funde). Der Zweck des kurzen Kataloges liegt nicht
darin, jedem einzelnen Fund eine detaillierte antiquarische analyse zukommen zu lassen, sondern darin,
ihn kurz zu charakterisieren. Zu einigen objekten gibt es relativ neue arbeiten, sodass die einträge sehr
knapp ausfallen können; bei anderen hingegen erschien es nötig, etwas weiter auszugreifen, doch auch
in diesen Fällen wurde auf kürze geachtet. unmöglich (und unnötig) war es, für jeden Fund die bisherigen
erwähnungen und abbildungen in der Literatur aufzulisten. die wichtigsten bis 1981 erschienenen Veröffentlichungen sind bei Böhner 1981 zitiert. daher sind im folgenden katalog nur jüngere arbeiten und jene
Publikationen angeführt, die einen vollständigen Fundkatalog des childerichgrabes enthalten 4 oder nach
1981 Einzelaspekte behandeln. Ausstellungskataloge mit mehr oder weniger summarischer Aulistung der
Beigaben sind nicht angegeben 5. die in den kurzkommentaren angeführten ergebnisse werden in den folgenden kapiteln dann weiteren auswertungen zugrunde gelegt.
das rGZM besitzt mehrere kopien der erhaltenen Funde, von denen die ersten bereits 1861 von Ludwig
Lindenschmit angefertigt wurden 6. diese kopien und ein restaurierungsbericht aus dem rGZM von e. Foltz
und H. Staude, die in der Vorbereitungsphase der Sonderausstellung »Gallien in der Spätantike« die erhaltenen Teile von Sax und Spatha untersuchen konnten, waren bei der erstellung des folgenden kataloges
hilfreich. Im rahmen dieser ausstellung reproduzierte und kolorierte das rGZM die Fundtafeln von 1655
(Taf. 16-19). 1996-2000 wurden anhand der Abbildungen aus der Publikation von Chiflet Nachbildungen
aller weiteren, seit 1831 verschollenen Funde angefertigt (Taf. 20-22).
a. ringschmuck
1. kolbenarmring
Taf. 1, 1
Gold. Seit 1831 verschollen. Dm. (nach Abb. bei Chiflet)
7,9 cm × 6,7 cm, Innen-dm. 6 cm × 4,5 cm. Gew. (nach
Werner) ca. 300 g.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 310. – Dumas
1975, 42 nr. c25 Taf. 10, c. – Werner 1980, 1-7. – Böhner 1981, 452 abb. 135, 7. – dumas 1982, nr. G.
Kommentar: Die grundlegende Arbeit zu den goldenen
kolbenarmringen der römischen kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit stammt von Joachim Werner, der die
ringe als germanische Herrschaftszeichen, als »Signum
einer ›stirps regia‹«, interpretierte 7. Matthias Hardt hob
deutlich hervor, dass die armringe über ihre Schmuck- und
Insignienfunktion hinaus auch edelmetallbarren waren, deren Gewichtsklassen am römischen unzialsystem orientiert
waren 8. es ist sogar wahrscheinlich, dass goldene Fibeln,
Hals- und armringe quasi als Set von römischer Seite an
(barbarische) krieger vergeben wurden, wie einige exemplare mit eingepunzten Gewichtsangaben vermuten lassen 9.
Chiflet 1655. – Cochet 1859. – Dumas 1975; 1982. – Böhner
1981.
5 z. B. kat. Mainz 1980, 240-245. – kat. Tournai 1982, 70 f. Farbabb. G.2 auf den S. 203. 207. 209. – koch / von Welck / Wieczorek 1997, 881-883. – colonna 2008, 346 f. 655. – kat. Mannheim 2001, 172 f. – Willemsen 2014, 171-175.
6 Vgl. Beitrag Frey in diesem Band.
4
166
2. fingerring
Taf. 1, 2
Gold, unverziert. Seit 1831 verschollen. dm. (nach abb.
bei Chiflet) ca. 2,5 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 96. – Cochet 1859, 350. – Dumas
1975, 26 Taf. 6. – Böhner 1981, 452 abb. 135, 6. – dumas 1982, nr. I. – Hadjadj 2007, 324 nr. 423.
Kommentar: Goldene Fingerringe dieser schlichten Form
sind langlebig. Mehrere goldene exemplare aus der römischen kaiserzeit konnte christamaria Beckmann bereits
vor fast 50 Jahren aulisten 10. aus Flonheim (Lkr. alzeyWorms / d) Grab 9 stammte ein solcher ring, der heute
aber verschollen ist. die Bestattung ist in die Zeit um 500
bzw. das frühe 6. Jh. zu datieren 11. Weitere merowingerzeitliche exemplare sind ohne kontext überliefert und daher nicht präzise datierbar 12.
Siegelring s. u. nr. 19.
7
8
9
10
11
12
Werner 1980, 23. 38 f.
Hardt 2004, 69 f.
Quast 2013, 181-185. – Vgl. auch von rummel 2007, 362-368.
Beckmann 1969, 26-28 (z. B. abb. 2, 221; 3, 209).
ament 1970, 95 f. Taf. 17, 2; 33, 3.
Hadjadj 2007, 279 nr. 345.
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
B. kleidungszubehör
3. paludamentum
Chiflet erwähnt golddurchwirkte Textilien (»Seide, verblasster Purpur«) (»childericum regem sepultum fuisse
cum vestibus auro textis, ostendunt aurea ilamenta
quamplurima sericis permixta, & quidem purpureis, sed
colore penè obsoleto«). die reste wurden anscheinend
nicht geborgen.
Lit.: Chiflet 1655, 94. – Cochet 1859, 173-176. – Werner
1971, 45 (geht von zwei Mänteln im Grab aus). – Böhner
1981, 450.
Kommentar: Ob die Goldfäden zu einem paludamentum
gehörten oder zu einem anderen kleidungsstück, ist natürlich unklar, aber dass childerich mit seinem Mantel bestattet war, belegt die Zwiebelknopfibel. Der Trägerkreis
von mit Goldborten verzierten Gewändern wird im Codex
Theodosianus und im Codex Iustinianus strikt auf das kaiserhaus, kaiserliche Beamte und hohe Militärangehörige
beschränkt 13. aus dem Gebiet nördlich der alpen sind
einige nachweise für Goldlahn aus der gesamten Merowingerzeit bekannt 14.
4. Zwiebelknopfibel
Taf. 1, 3
Gold; ein Zwiebelknopf mit Schraubgewinde; ornamentik
graviert. Seit 1831 verschollen, kopie aus dem 17. Jh. im
Tiroler Landesmuseum Innsbruck. L. (nach abb. bei chifflet) ca. 6,1 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 182. – Cochet 1859, 213-215. – Dumas 1975, 38 f. nr. c20 Taf. 9, 20. – Böhner 1981, 450452 abb. 135, 3. – dumas 1982, nr. 13.
Kommentar: Die Fibel gehört zum Typ 7 der Zwiebelknopfibeln, der zuletzt von Michael Schmauder zusammenfassend bearbeitet wurde 15. Bálint László Toth, der die
durchbruchverzierten spätantiken Goldschmiedearbeiten
untersucht hat, konnte anhand der Verzierung(stechnik)
westliche und östliche kreationen unterscheiden. die Fibel childerichs ist demnach eine oströmische arbeit aus
konstantinopel 16. die statusanzeigende Bedeutung von
Zwiebelknopfibeln wurde mehrfach betont 17. Zuletzt hat
sie rozalia Tybulewicz anhand der bildlichen darstellungen als Teile der zeremoniellen kleidung diskutiert 18. childerich erhielt die Fibel sicher zusammen mit dem Mantel,
dem paludamentum.
13
14
15
16
17
18
riemer 2000, 248-252 bes. 249.
Meissner 2010. – Schneebauer-Meissner 2012. – Stiefel-Ludwig
2012. – eger 2012. – krohn 2012. – riemer 2000, 248-252 bes.
249.
Schmauder 2002, 76-80. 336 f. (Fundliste 12)
Toth 2012, 284-288. 295 (Tabelle). – Vgl. zu den Techniken
auch Toth 2010.
z. B. Janes 1996. – Schmauder 2002, 76-80.
Tybulewicz 2014.
5. gürtelschnalle
Taf. 2, 1
Gold, nur der nierenförmige Beschlag und der dorn waren
erhalten. Beschlag cloisonniert, außenzarge durch kleine,
aneinandergesetzte röhrchen gebildet, deren außenseiten als Fassungen für stabförmige Granateinlagen dienen;
dornschild mit drei Granateinlagen, die mittlere davon
proiliert. Seit 1831 verschollen. L. (nach Abb. bei Chiflet)
5,7 cm, Beschlag-B. 2,9 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 239. – Dumas
1975, 34 Taf. 8, a. – Böhner 1981, 452 abb. 135, 4.
Kommentar: Die Schnalle gehört zu einer kleinen Gruppe
hervorragend gearbeiteter Goldschnallen mit cloisonnéverzierung. die besten und eigentlich auch einzigen Vergleiche liegen aus den drei Gräbern von apahida (jud.
cluj / ro) und esslingen-rüdern (d) vor 19. Bei der Schnalle
aus Tournai fehlt der Bügel, doch war auffälligerweise
die Laschenkonstruktion nicht ausgerissen und auch das
dornlager war anscheinend intakt. das deutet darauf
hin, dass hier kein massiv goldener Bügel bei der Aufindung abgerissen wurde. Wahrscheinlicher ist es, dass der
Bügel aus organischem oder mineralischem Material bestanden hat und durch die jahrhundertelange Lagerung
im Boden brüchig geworden war 20. naheliegend ist es,
an einen Meerschaum- oder »knochen«bügel zu denken.
Vergleichbare exemplare sind aus Flonheim (Lkr. alzeyWorms / d) Grab 5, Tács, dem antiken Gorsium (kom.
Fejér / H), und Guyalavári (kom. Békés / H) bekannt; entsprechende Schuhschnallen gibt es aus apahida II und
aus Blučina (okr. Brno-venkov / CZ) 21. die Verwendung
bzw. Verarbeitung von mineralischem Material wie Meerschaum weist deutlich auf eine Herkunft aus dem östlichen Mittelmeerraum hin 22.
6. gürteltasche
Taf. 2, 2
Zwei endbeschläge eines Taschenbügels, Gold, Schauseite
cloisonniert, Lötnaht zwischen Grundplatte und Zarge mit
feinem Perldraht verdeckt, dargestellt sind nach außen blickende Pferdeköpfe. Seit 1831 verschollen. L. (nach abb.
bei Chiflet) ca. 5 cm.
Zugehörig ist sehr wahrscheinlich eine der Schnallen
(Nr. 22 oder 28).
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 319 f. – Dumas
1975, 41 f. nr. c24 Taf. 10, a. – Brown 1977, 462 nr. 11.
– Böhner 1981, 453 abb. 135, 10. – dumas 1982, nr. F.
Apahida: Kat. Mannheim 2001, 148 Nr. 4.8.3.1; 157 Nr.
4.9.3.2; 161 Nr. 4.10. – Rüdern: Christlein 1978, 163 f. Nr. 299
Taf. 45 unten Mitte; kat. Stuttgart 1997, 152 abb. 148. – Zum
technischen aufbau vgl. oanta-Marghitu u. a. 2009.
20 So schon Herdick 2000, 330.
21 Quast 1993, 54. 133 Liste 3, b. – Zu Apahida und Blučina vgl.
auch unten nr. 7-8. – Zum Material Meerschaum vgl. auch Herdick 2000, 333-337.
22 Herdick 2000. – darüber hinaus Quast 2001, 435.
19
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
167
Kommentar: Vergleichbare, mehrteilige Taschenbügel
sind aus apahida II (jud. cluj / ro) und Flonheim (Lkr.
alzey-Worms / d) Grab 5 bekannt 23. Beide sind zeitgleich
mit dem childerichgrab und haben als Schnalle ein kleines exemplar mit nierenförmigem Beschlag (wie nr. 22).
die etwas jüngeren Stücke sind einteilig und mit einem
rechteckigen Zierfeld über dem Schnallenbügel verziert.
einen solchen rechteckigen Beschlag zeigen auch die dreiteiligen Taschenbügel aus krefeld-Gellep Grab 1782 und
Jouy-le-comte (dép. Val-d’oise / F) 24 (wie nr. 28). Bei den
dreiteiligen exemplaren ist zu überlegen, ob sie nicht auf
einen Träger montiert waren, der quasi als Gegenblech
unter dem Taschenleder lag.
7-8. Paar schuhschnallen
Taf. 2, 3-4
7. Schuhschnalle, Gold mit Granateinlagen, nur der Laschenbeschlag war erhalten, auf dem rand drei niete,
Schnallenbügel und -dorn fehlen, evtl. ist nr. 25 zuge-
hörig. Seit 1831 verschollen. Beschlag-B. (nach abb. bei
Chiflet) ca. 3 cm.
8. wie nr. 7, Lasche aber deutlicher »ausgerissen«.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 241 Abb. 3. –
dumas 1975, 34 Taf. 8, d-e. – Böhner 1981, 452 f. abb.
135, 8-9.
Kommentar: Goldene, cloisonnierte Schuhschnallen sind
aus Apahida II (jud. Cluj / RO) und aus Blučina (okr. Brnovenkov / cZ) bekannt 25. In beiden Fällen erlauben die
eindeutigen Lagebeobachtungen die funktionale ansprache 26. keine der Schnallen besaß einen Bügel aus Metall;
in Apahida wurde »Knochen« verwendet, in Blučina ein
weißes Material, wohl Meerschaum. das Fehlen der Bügel
an den beiden Schnallen aus Tournai könnte evtl. darauf
zurückzuführen sein, dass sie ebenfalls aus organischem
Material bestanden. Gut dazu würde der cloisonnierte
dorn nr. 25 passen.
c. Bewaffnung
9. spatha
Taf. 3-5
Nach Chiflet (1655, 199) »longus pedes duos sesqui«
(Böhner 1981, 444 übersetzt »zwei Fuß und die Hälfte,
also wohl drei Fuß« = 97 cm; Gietzen [in diesem Band]
übersetzt »zweieinhalb Fuß« = 81 cm).
cloisonnéarbeiten: Für alle cloisonnierten Teile des Spatha, der Spathascheide und des -gurtes (soweit erhalten
und bestimmbar) gelten die folgenden Beobachtungen,
die nicht bei jedem Teil erneut aufgeführt werden: Alle
Granatplättchen liegen auf einer gewaffelten Goldfolie
auf, die wiederum auf einer Füllung aus Gips (analysen
RGZM) auliegt. Zur Befestigung sind die Stege etwas über
die facettierten kanten der Granatplättchen getrieben.
a. klinge
Hatte keine Spitze, das eisen war so schlecht erhalten,
dass es nicht geborgen werden konnte.
Lit.: Chiflet 1655, 38. – Cochet 1859, 67 f. – Dumas
1975, 14. – Böhner 1981, 444.
b. knauf
Taf. 3, 1a
Gold, cloisonniert, enden als Tierköpfe gestaltet, augen
mit mugeligen almandinperlen. der knauf besteht anscheinend aus einem hohlen, bootförmigen rohling, auf
dem das Zellwerk aufgelötet wurde, die Tierköpfe sind
aus Blech an diesen rohling angelötet. Verbindung mit
Griffangel und knaufplatte unklar. 1831 beschädigt, ungefähr Hälfte abgebrochen. original erhalten. erhaltene
23
24
Brown 1997, 462-464. – Windler 1994, 71-77 abb. 102. 104.
Windler 1994, 72 abb. 97f; 76 abb. 103b; einteilige cloisonnierte Taschenbügel ebenda abb. 97.
168
B. 3,7 cm (urspr. B. ca. 5,2 cm), H. 8,4 cm. Gew. 11,025 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet
1859, 80. 83. – Arbman 1947-1948, 102 Abb. 2-3. – Dumas 1975, 12 nr. c1 Taf. 1, 1; 2, 2; 3, 1. – Böhner 1981,
442-448 abb. 132, 1 Taf. 30, 1c-d. – dumas 1982, nr.
1.a. – kat. Mannheim 2001, 76.
c. knaufstange
Taf. 3, 1b
erhalten ist die Goldblechverkleidung der Schau-, oberund unterseite, Schauseite mit aufgelötetem Zellwerk und
Granateinlagen, rahmendes Filigranornament aus zwei
tordierten drähten an der ober- (Taf. 4, 1) und unterseite
(Taf. 4, 2), an der unterkante zusätzlich reihe aus gegenständig eingepunzten dreiecken, eine durchlochung
(Taf. 4, 1) evtl. zur Vernietung mit organischen Teilen. original erhalten. B. 6,2 cm, H. 1,2 cm. Gew. 23,25 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet
1859, 65. – Dumas 1975, 12 Nr. C2 Taf. 1, 2; 2, 2; 3, 2. –
Böhner 1981, 442-448 Abb. 132, 1 Taf. 30, 1a-b. – Dumas 1982, nr. 1.b. – kat. Mannheim 2001, 76.
d. goldgriff
Taf. 3, 1c
Blech mit fünf von innen herausgetriebenen rippen umfasst den gesamten Griff, ist aber verformt, auf der rückseite Lötnaht (Taf. 4, 3). original erhalten. Material-St.
0,2 mm, L. 9 cm. Gew. 19,23 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet 1859, 65. – dumas 1975, 12 f. nr. c3 Taf. 1, 3; 2, 3.
kat. Mannheim 2001, 149 nr. 4.8.3.9; 167 nr. 4.12.3.4 (mit
älterer Lit.). – Vgl. auch Schmauder 2002, 155-160.
26 Horedt / Protase 1972, 192. – Werner 1980, 3 abb. 1.
25
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
– Böhner 1981, 442-448 mit Abb. 132, 1 Taf. 30, 1e-f. –
dumas 1982, nr. 1.c. – kat. Mannheim 2001, 76.
e. parierstange
Taf. 3, 1d; 5
erhalten ist die Goldblechverkleidung der Schauseite (vermutlich auf eine Parierstange aus organischem Material
aufgesetzt), aufgelötetes Zellwerk mit Granateinlagen,
an der unterkante reihe aus gegenständig eingepunzten
dreiecken (Taf. 5, 1-2), oberkante glatt (Taf. 5, 3), Seitenkanten mit Flechtband aus drei glatten drähten, gefasst von zwei Perldrähten (Taf. 5, 4). original erhalten.
B. 8,4 cm, H. 1,25 cm. Gew. 27,84 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet 1859, 65 abb. a. – arbman 1947-1948, 105 f. abb.
5-8. – Dumas 1975, 14 Nr. C4 Taf. 1, 4; 2, 4; 3, 4. – Böhner 1981, 442-448 abb. 132, 1 Taf. 30, 1g-h. – dumas
1982, nr. 1.d. – kat. Mannheim 2001, 76.
Kommentar: Es handelt sich bei dem Schwert um eine
Goldgriffspatha (vgl. unten kommentar zur Spathascheide). das cloisonée ist von herausragender Qualität,
gleichzeitig ist es aber für die Belastung im kampf zu fragil. kaum vorstellbar ist, dass childerich mit dieser Waffe in
die Schlacht zog. es wird sich dabei eher um eine »Prunkwaffe« handeln, die nur bei bestimmten ereignissen zum
einsatz kam, wie etwa das edelsteinverzierte Schwert, das
karl der Große aber bloß zu besonderen anlässen trug,
wie einhard berichtet 27. auch Gregor von Tours nennt ein
edelsteinverziertes Schwert, das könig childebert II. als
Geschenk erhielt, über dessen genaue Verwendung wir
jedoch nichts erfahren 28.
10. spathascheide
Taf. 6
nur Beschläge erhalten, nirgendwo anhaftende organische reste beobachtet.
a. Mundblech
Taf. 6, 1
Goldblechstreifen auf der Schauseite mit aufgesetztem
Zellwerk und cloisonné, außenzarge durch kleine, aneinandergesetzte röhrchen gebildet, rückseite des Mundblechs mit Filigranverzierung. das Mundblech ist verformt,
dadurch ist die Öffnung eher »dreieckig«. original erhalten. B. 7,34 cm, H. 1,6-1,7 cm. Gew. 52,24 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet
1859, 65 abb. B. – arbman 1947-1948, 111 abb. 14-16
(allerdings dem Sax zugewiesen). – dumas 1975, 16 nr.
c5 Taf. 1, 5; 2, 5; 3, 5. – Böhner 1981, 442-448 abb. 132,
2 Taf. 30, 2.a-d. – dumas 1982, nr. 2.a. – kat. Mannheim
2001, 76.
einhardi Vita karoli Magni 23.
Gregor von Tours, Historiae X, 21. – Weidemann 1982, 259.
29 Letzte Zusammenfassung zu den Goldgriffspathen bei Brather
2014, 580-583.
30 Theuws / alkmade 2000, 424-427.
27
28
b. Paar riemendurchzüge
Taf. 6, 2-3
Für einen ca. 11 mm breiten riemen, Gold, Schauseite
mit cloisonnéverzierung und parallel gelegten, tordierten
drähten (»Zopfmuster«); vier niete mit »Gegenblech« (L.
6 mm), die Abbildung bei Chiflet vermittelt den Eindruck,
dass die niete auf der Schauseite zu sehen sind, also durch
»Bohrungen« in den Granateinlagen geführt wurden. Seit
1831 verschollen. L. (nach Abb. bei Chiflet) 9,3 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 194. – Cochet 1859, 394. – Dumas
1975, 18 Taf. 1, B. – Böhner 1981, 442-448 abb. 132,
3. – dumas 1982, zwischen nr. 2a und 2b »deux passecurroies«.
c-d. ortbandfragmente
Taf. 6, 4-6
c. oberer abschluss eines ortbandschenkels, Bronze,
vergoldet, u-förmiger Querschnitt, einzeln gefasstes
Granatplättchen, an der Basis der Zellwand anscheinend
Perldraht. original erhalten. L. 2,4 cm (Taf. 6, 4; 6).
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 442. – Dumas
1975, 18 f. nr. c6 Taf. 1, 6; 2, 6. – Böhner 1981, 442-448
abb. 132, 5 Taf. 30, 2.e-f. – dumas 1982, nr. 2.b.
d. wie c. Seit 1831 verschollen. L. (nach Abb. bei Chiflet)
2,8 cm (Taf. 6, 5).
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Dumas 1975, 18 f. Nr. C6 Taf. 1,
6. – Böhner 1981, 442-448 abb. 132, 6.
Kommentar: Passend zur Goldgriffspatha sind die Beschläge einer prächtig verzierten Scheide mit cloisonniertem Mundblech, riemendurchzügen und ortband 29.
die Schwertscheide aus dem childerichgrab fällt aus
dem rahmen, da alle Beschläge aus massivem Gold sind.
Zwar haben Frans Theuws und Monica alkmade darauf
hingewiesen, dass Scheide und Schwert nicht aus derselben Werkstatt stammen müssen 30, vielfach wohl auch
mit reparaturen zu rechnen ist, doch bilden Schwert und
Scheide des fränkischen königs aufgrund des einheitlichen, qualitativ hochwertigen cloisonnés sicherlich eine
einheit. Wenngleich die Verbreitung von cloisonnierten
Spatha(scheiden)beschlägen sich nicht mehr so deutlich
wie noch vor einigen Jahrzehnten auf das Mittelrheingebiet und nordostgallien begrenzen lässt, so zeigt sie in
diesen regionen doch noch immer einen klaren Schwerpunkt 31. dass diese Waffen nicht unbedingt auch in diesen Gebieten gefertigt worden sein müssen, sondern
wohl z. T. aus mediterranen Werkstätten stammen, hat
Horst Wolfgang Böhme gezeigt 32.
Bei den Schwertern der zweiten Hälfte des 5. Jhs. sind zwei
Gruppen von riemendurchzügen zu unterscheiden 33: solche mit dornenden, die mittig auf der Scheide befestigt
Theuws / alkmade 2000, 444-446 abb. 8. – klar getrennte
Verbreitung einer »alamannischen« und einer »fränkischen«
Gruppe der Goldgriffspathen bei ament 1970, 53 abb. 5.
32 Böhme 1994. – So auch schon arrhenius 1985, 102.
33 Menghin 1983, 102-115. 340-343.
31
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
169
waren, und solche, die genietet waren und an der Scheidenkante saßen. Zu dieser Gruppe zählen die durchzüge
aus dem childerichgrab. Wo sie genau an der Spathascheide befestigt waren, ist allerdings unklar. es gibt zwei
Möglichkeiten: Auf gleicher Höhe an den gegenüberliegenden Scheidenkanten wurden die durchzüge mit Vogelkopfenden angebracht, wie einige gut dokumentierte
Befunde zeigen 34. aus Lavoye (dép. Meuse / F) Grab 319
ist eine Befestigung der durchzüge untereinander an derselben Scheidenkante überliefert (abb. 1) 35. direkt neben
den durchzügen wurde je ein sternförmiger cloisonnierter
Beschlag entdeckt, der auf der rückseite eine Öse aufwies. Zweifellos wurde mit diesen »knöpfen« der um die
Scheide (und durch die durchzüge) geführte Schwertgurt
ixiert. Im Childerichgrab erfüllten anscheinend die beiden
halbkreisförmigen Beschläge (nr. 11b) diese Funktion.
Vom ortband der Spatha aus dem childerichgrab waren
nur die beiden abschlüsse der ortbandschenkel erhalten,
deren Verzierung mit Granat singulär ist 36. kurt Böhner
hat den schildförmigen, cloisonnierten Beschlag als »ortblech« interpretiert, doch ist diese Zuweisung nicht sicher
(vgl. unten nr. 36).
11. spathagurt
Taf. 7-8
a. schnalle
Taf. 7, 1
Gold, dorn mit nierenförmigem dornschild mit cloisonné,
auf dem dorn drei oder vier (leere?) Fassungen für Steineinlagen. 1831 beschädigt, dorn seitdem verschollen, nur
Bügel erhalten. B. 4,0 cm. Gew. 132,31 g.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 237 Abb. 1-2. –
dumas 1975, 33 nr. c16 Taf. 8, 16. – Böhner 1981, 448
abb. 132, 9. – dumas 1982, nr. 8.
b. Zwei D-förmige beschläge
Taf. 7, 3-5
Gold, cloisonné auf Schauseite und am rand, auf der
rückseite je vier Ösen aus Golddraht. ein exemplar erhalten (Taf. 7, 3. 9), das andere seit 1831 verschollen. L.
1,9 cm, H. 4 mm. Gew. 4,06 g.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Dumas 1975, 37 Nr. C19 Taf. 9,
19. – Böhner 1981, 455 abb. 137, 8-9 Taf. 31, 5.c. – dumas 1982, nr. 10.
c. Zwei kleine vierpassförmige beschläge
Taf. 7, 6-7
Gold, Granateinlage auf der Schauseite, Lötnaht zwischen
Zarge und Grundplatte mit Perldraht verdeckt, auf der
rückseite Öse. Seit 1831 verschollen. B. (nach abb. bei
Chiflet) 0,9 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 277. – Dumas
1975, 38 Taf. 9, c. – Böhner 1981, 455 abb. 137, 3-4.
34
35
Heege 1987, 85-89 abb. 35, 5; 38.
Joffroy 1974, 95-100 abb. 71; 130 f. Taf. 32. – chenet 1935,
46. 49 abb. 7.
170
d. rechteckiger riemenendbeschlag
Taf. 7, 8
Gold, Schauseite cloisonniert. Seit 1831 verschollen. B.
(nach Abb. bei Chiflet) 3,6 cm, H. 1,8 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 439. – Dumas
1975, 41 nr. c22 Taf. 9, G. – Böhner 1981, 445 abb. 137,
5. – dumas 1982, nr. d. – von carnap-Bornheim 1999,
54-57 abb. 3, 7.
e. stierkopf-beschlag
Taf. 7, 2
Gold, auf der Schauseite Granateinlagen, rückseite mit
drei Ösen; Stierkopf hohl gearbeitet, die obere d-förmige
Öffnung wurde anscheinend mit einem Beschlag mit
rechteckigem Bügel geschlossen, von dem vermutlich
organische reste herabhingen und zum Maul des Stieres
austraten. Seit 1831 verschollen. H. (nach abb. bei chifflet) ca. 3,4 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 141. – Cochet 1859, 295. – Dumas
1975, 42-44 nr. c26 Taf. 10, d. – Böhner 1981, 457 abb.
137, 1. – dumas 1982, nr. H. – Quast 2003, 599.
f. bienenförmige beschläge
Taf. 8
Gold, Flügel mit Granateinlagen, Lötnaht zwischen Zarge
und Grundplatte mit tordiertem (?) draht verdeckt, auf
Rückseite Öse. Chiflet behauptet, es seien über 300 dieser
Beschläge im Grab gewesen, doch dürfte es sich dabei um
eine Übertreibung handeln, denn Chiflet hat den Bienen
als Wappentieren der Merowinger so große Bedeutung
zugemessen. Überliefert sind 27 exemplare, von denen
seit 1831 25 verschollen sind. Chiflet bildet die Bienen an
zwei unterschiedlichen Stellen in seinem Text ab, einmal in
natürlicher Größe, einmal im M. 2:1. Unklar ist, ob letztere
eine vergrößerte Wiederholung sind oder ob insgesamt 26
unterschiedliche Bienen abgebildet wurden. Im Folgenden
werden die Bienen in natürlicher Größe gezählt, die »größeren« als »+« dahinter angegeben. Chiflet unterscheidet zwei Formen: apes oculteae, Bienen mit augen und
apes caeca, »blinde Bienen«, ohne augen (cochet 1859,
179 denkt an unfertige exemplare, dagegen spricht, dass
es beide Formen mit längsgerilltem körper gibt).
Beide Formen gibt es mit glattem oberkörper (mindestens
7 + 4 ex.), und mit längsgerilltem oberkörper (mindestens
9 + 4 ex.). Von diesen beiden je ein exemplar erhalten L.
1,6cm. Gew. 1,95 g u. 2 g. Verschollene exemplare (nach
Abb. bei Chiflet) 1,6-1,8 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 141. 322. – Cochet 1859, 177-190. –
dumas 1975, 30 f. nr. c14-c15 Taf. 6, 14-15. – Böhner
1981, 457 abb. 137, 12-35. – dumas 1982, nr. 7. – Quast
2003, bes. 597 (mit älteren Interpretationen).
Kommentar: Die aufgeführten Objekte wurden vor über
zehn Jahren vom Verf. als Beschläge des Schwertgurtes
identiiziert 37. Dazu wurde auf Vorbilder mit »igürli36
37
Menghin 1983, 125-132. 349-353.
Quast 2003.
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
abb. 1 Lavoye (dép. Meuse / F) Grab 319. Spatha mit Zweipunktaufhängung: 1 Befundskizze. – 2 Durchzug für den Schwertriemen. –
3 sternförmiger Beschlag mit Schlaufe auf der Rückseite. – 4 Spatha. – (1-3 nach chenet 1935, 38 abb. 2; 46 abb. 7; 4 nach Joffroy 1974,
Taf. 32). – 2-3 M. 1:1; 4 M. 1:5.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
171
chen« Besatzstücken aus dem kaiserzeitlichen Barbaricum
aus Illerup Ådal (Skanderborg amt / dk), Frøyhov (fylke
Akershus / N) und Szwajcaria (woj. Suwałki / PL) hingewiesen. Bis dahin galten die aufgelisteten objekte als Beschläge eines Zaumzeugs 38. unklar ist, ob es sich dabei
um eine Zweipunktaufhängung gehandelt hat (abb. 2).
Fraglos hatten die igürlichen Beschläge – Stierkopf und
Bienen – eine symbolische Bedeutung für childerich,
chlodwig und deren umfeld. Jede Interpretation wird
aber stets ein gewisses Maß an Spekulation beinhalten.
Bei dem Stierkopf drängt sich eine Verbindung zum Quinotaurus, einem Meeresungeheuer mit Stierkopf, auf, den
Fredegar als möglichen erzeuger Merowechs, des Vaters
childerichs, erwähnt 39. Birgit arrhenius hingegen erkennt
einen apisstier, und somit einen Hinweis auf einen Isiskult
bei den frühen Franken 40. auch den Bienen kam in der
antike und im Mittelalter hohe Symbolhaftigkeit zu, die
im christentum entsprechend angepasst wurde 41. In der
antiken Tierdeutung ist der Bienenschwarm Sinnbild des
durch einen könig / Fürsten (nicht durch eine königin!) geleiteten leißigen Volkes. Der König oder Fürst sei »nach
der ordnung und natürlichen Sitte der- selben von dem
Schöpfer eingesetzt ist, um sie zu regieren« 42. Zudem sind
die Bienen staatenbildend. die Interpretation der Bienen
aus dem childerichgrab wird aber dadurch erschwert,
dass gerade im 5. Jh. in einiger Zahl Zikadenibeln und
-beschläge auftauchen, die mit einem eigenen (anderen)
Symbolgehalt behaftet waren. Wie haben diese Zikaden
auf die Bienen childerichs eingewirkt 43?
12. schwertperle
nicht erhalten, vermutlich aus mineralischem Material, erhalten ist der Zierknopf zur Befestigung des riemens, allerdings ist unklar, ob es sich um nr. 30 oder nr. 32 handelt.
Kommentar: Bei reicher ausgestatteten Gräbern des 5. Jhs.
inden sich nahezu regelhaft Schwertperlen, die aus ganz
unterschiedlichen Materialien gefertigt sein konnten, wie
38
39
40
41
42
43
44
45
46
Ältere Lit. angeführt in Beitrag ament in diesem Band.
Fredegar III, 9. – ewig 1991, 47. – Vgl. dazu unten.
arrhenius 1997, 65 f.
Vgl. Hünemörder 1983, 134 f. – engels / nicolaye 2008. – reiche
Zusammenstellung bei Tavoillot / Tavoillot 2015.
Physiologus 53 (= Peters 1976, 85-88).
Vgl. z. B. kysela 2002.
rau 2010, Bd. 1, 363-384.
rau 2010, Bd. 2, 35-41 Fundliste 23 nr. 7 (alattyán / H), 42
(chaouilley / F), 82 (Gammertingen / d), 95 (krefeld-Gellep / d,
Grab 1782), 98 (Morken / d), 99 (niederstotzingen / d, Grab
9), 101b (rödingen / d, Grab 7/1949), 112 (Ziertheim / d, Grab
3/1910). – cloisonnierte Zierknöpfe mit Perlen aus anderem
Material: ebenda Nr. 28 (Jakuszowice / PL: Bernstein), 89 (Hüingen / D, Grab 335: Milleioriglas).
rau 2010, Bd. 2, 35-41 Fundliste 23 nr. 15 (Pécs-Üszög / H),
115 (Gudme / dk, 2 exemplare), 132 (djurgårdsäng / S), 138
Övede / S). – Weitere Meerschaumperle mit cloisonniertem Zierknopf aus Brut (Resp. Severno-Ossetinskajs / RUS) Kurgan 2: Kat.
Mannheim 2001, 124 nr. 3.
172
Glas, Bergkristall, Bernstein oder Meerschaum. Zuletzt hat
sich andreas rau ausführlich mit dieser Materialgruppe
beschäftigt und anhand ausreichend dokumentierter Befunde aufgezeigt, dass die Perlen am Schwertgurt nahe
der Spathascheide befestigt waren 44. einiges spricht dafür,
dass die Perle aus dem childerichgrab aus Meerschaum
bestand: Goldene cloisonnierte Zierknöpfe inden sich mit
zwei ausnahmen stets mit Perlen aus »kreide«, »Gips«
oder Meerschaum 45. Zwar sind auch mehrere exemplare
ohne zugehörige Perle überliefert 46, doch würde die leichte
Vergänglichkeit des Materials auch bei diesen Stücken
eher auf Meerschaum als auf Bernstein, Bergkristall oder
Glas schließen lassen. Schwertperlen aus Meerschaum
(oder unbestimmtem weißen Material) sind in einiger Zahl
aus Gräbern nördlich der byzantinischen donaugrenze bekannt. Im westlichen reihengräberkreis stammen sie zumeist aus reichen Bestattungen, deren Fundmaterial weitere objekte aus dem Mittelmeergebiet aufweist 47. auch
bei der Schwertperle aus dem childerichgrab wäre eine
Herstellung im Mittelmeerraum wahrscheinlich.
13. sax
klinge nicht erhalten, nicht einmal beobachtet. Zu einem
möglichen knauf vgl. nr. 31 und nr. 36.
Lit.: Böhner 1981, 449 f.
Kommentar: Vom Sax selbst war anscheinend nichts erhalten; wohl auch deshalb hat man lange Zeit nicht erkannt, dass ein solcher als zweites Schwert zum Inventar
gehörte 48. Sehr wahrscheinlich hat es sich dabei um einen
schmalen Langsax gehandelt, eine Waffenform, für die
eine Vermittlung durch das oströmische Heer zumindest
denkbar ist 49. In den fränkischen reichen sind schmale
Langsaxe ausnahmeerscheinungen. ein cloisonnierter Beschlag mit einer doppelten Stegöse (nr. 31) wurde bislang
als knauf interpretiert, doch gibt es dafür keine Parallelen. eher könnte man bei dem schildförmigen Beschlag
(Nr. 36) an einen Saxknauf denken.
Menghin 1983, 356 f. Fundliste c,1.d. – rau 2010, Bd. 2, 3541 Fundliste 23 Nr. 2 (Moreşti / RO), 7 (Bátaszék / H), 8 (CsanádBőkény / H), 11a (Hódmezővásárhely / H), 11b (Kétegyháza / H),
12 (kiszombor / H), 14 (Magyarcsanád-Bökeny / H), 16 (Szentes-Berekhát / H, Grab 71), 18a (Szentes-kökenyzug / H, Grab
143), 20 (Szőrek-Téglagyár / H, Gräber 23, 64, 69), 21 (SzolnokSzanda / H, Gräber 6, 88, 168), 24 (Tiszáfüred-nagykenderföldek / H, Grab 1), 33 (Taurapilis / LT), 42 (chaouilley / F, Grab
20), 43 (Lavoye / F, Grab 194), 67 (Selmeston / GB, Grab 1), 72
(altenerding / d, Grab 92), 80 (Flonheim / d, Grab 5), 82 (Gammertingen / d, Grab von 1906), 90 (Hüttenheim / d, Grab 2), 93
(kerzenheim / d), 95 (krefeld-Gellep / d, Gräber 1782, 1812),
98 (Morken / d, Grab 2), 99 (niederstotzingen / d, Grab 9), 100
(Planig / d), 101b (rödingen / d, Grab 7/1949), 109 (Weimar / d,
nordfriedhof Grab 32), 117 (kyndby / dk).
48 Zur Forschungsgeschichte vgl. Beitrag ament in diesem Band.
49 Quast 1999. – Vgl. jetzt kritisch dazu kiss 2014.
47
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
1
2
abb. 2 rekonstruktionsvorschläge für den Schwertgurt aus dem childerichgrab mit riemendurchzügen auf gleicher Höhe (1) oder mit
einer Zweipunktaufhängung (2). – (Graphik V. kassühlke, rGZM). – o. M.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
173
14. saxscheide
Taf. 9-10
cloisonnéarbeiten: Für alle cloisonnierten Teile der Saxscheide gelten die folgenden Beobachtungen, die nicht
bei jedem Teil erneut aufgeführt werden: Alle Granatplättchen liegen auf einer gewaffelten Goldfolie auf, die
wiederum auf einer Füllung aus Gips (analysen rGZM)
auliegt. Zur Befestigung sind die Stege etwas über die
facettierten kanten der Granatplättchen getrieben. die
halbkugeligen Einlagen am Rand sind anders gefasst: Es
wurden zwei Goldbleche exakt übereinander gelötet. Zuvor wurden in das obere Blech die runden Fassungen eingebohrt. Dadurch ist die Fassung so »lach«, dass keine
Füllmasse nötig war – und da die Steinchen direkt auf dem
zweiten unteren Blech aufsaßen, auch keine Waffelfolie.
auch bei diesen halbrunden Granateinlagen wurde die
oberkante der Fassung zur Befestigung etwas über die
Steine getrieben (Taf. 10, 2-3).
a. Mundblech mit randbeschlag
Taf. 9, 1; 10
Goldblech, cloisonniert. aufbau (abb. 3): Auf einen Goldblechstreifen wurde das Stegwerk aufgelötet, dabei sind
die eigentlichen außenzargen einige Millimeter nach innen versetzt. So konnten auf den rand Stege für die randlichen einlagen gelötet werden. diese Stege sind nicht so
hoch wie das andere Stegwerk. Sie wurden nach oben
mit einem Goldblech verschlossen, das eigentlich aus zwei
exakt übereinander gelöteten Blechen besteht. das obere
Blech weist Bohrungen für die mugeligen einlagen auf.
original erhalten. B. 6,6 cm, H. Mundblech 1,8 cm, L. (nur
randbeschlag) 12,0 cm. Gew. 93,32 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet
1859, 65 abb. d. – dumas 1975, 21 nr. c7 Taf. 4, 7. –
Böhner 1981, 449 f. abb. 133, 2 Taf. 31, 1.a. – dumas
1982, nr. 3.a. – kat. Mannheim 2001, 77. – Quast in Vorb.
b. ortband mit randbeschlag
Taf. 9, 2-4
Goldblech, cloisonniert, aufbau wie bei 14a. unterseite
mit cloisonniertem Goldblech verschlossen, dort zusätzlich
zu almandineinlagen eine große achateinlage. original
erhalten, aber 1831 beschädigt, seitdem fehlt randbeschlag. B. 6,2 cm, H. noch 1,8 cm. Gew. noch 54,93 g.
Lit.: Chiflet 1655, Taf. zwischen S. 202 und 203. – Cochet
1859, 65 abb. c. – dumas 1975, 21 nr. c8 Taf. 4, 8. –
Böhner 1981, 449 f. abb. 133, 3 Taf. 31, 1.b-d. – dumas
1982, nr. 3.b. – kat. Mannheim 2001, 77. – Quast in Vorb.
Kommentar: Die Saxscheidenbeschläge gehören sicherlich
zu den qualitativ hochwertigsten cloisonnéarbeiten des
5. Jhs. Mundblech und ort sind gebogen und die Granatplättchen exakt an die Biegungen angepasst. Selbst die
die Zahlen entstammen einem restaurierungsbericht aus dem
rGZM von e. Foltz und H. Staude, die sich intensiv mit den originalen beschäftigen konnten.
51 Quast 1999, 116 anm. 9.
52 Quast 2005, 288 f. abb. 39; im druck a.
50
174
kanten der Beschläge sind cloisonniert. Sämtliche Steine
sind genau in die Fassungen eingeschliffen. abb. 3 zeigt
den kleinteiligen aufbau. Insgesamt wurden an den beiden Teilen ca. 440 halbkugelige Steine an den rändern
und zusätzlich ca. 720 Granatplättchen gefasst 50. Steinschleifer und Goldschmiede mussten sehr eng zusammenarbeiten. ebenfalls hohes können musste der Handwerker besitzen, der die eigentliche Scheide herstellte und
einpasste. Soweit überliefert bestanden die Scheiden der
schmalen Langsaxe aus Holz und waren vermutlich mit einem feinen Leder überzogen 51. ursprünglich war zumindest der niet auf dem randparallelen Teil mit einer sternförmigen einlage verdeckt. diese konnte also erst nach der
Vernietung von Beschlag und Scheide eingefügt werden.
die enorm hohe Qualität der Saxscheidenbeschläge lässt
an eine Herstellung in einer herausragenden Werkstatt
denken, die man am ehesten im (ost)römischen reich
vermuten würde.
die Saxscheidenbeschläge aus dem childerichgrab sind
von außergewöhnlicher Qualität. es existieren einige
nachahmungen, wobei es sich zumeist nur um die fünfeckigen Teile handelt, die parallel zur Schneide verliefen.
es gibt solche mit cloisonné und zeitlich wenig jünger
solche aus Gold mit Filigranverzierung 52. kombiniert mit
einem Mundblech ist ein aus schlichtem Bronzeblech hergestellter Beschlag aus Schleitheim-Hebsack (kt. Schaffhausen / cH) Grab 391, das ungefähr zeitgleich mit dem
childerichgrab angelegt wurde 53. aus eisen ist ein vergleichbarer Beschlag vom schmalen Langsax aus eschborn
(Main-Taunus-kreis / d) Grab 9 gefertigt 54. ein einziges
Mundblech mit randbeschlag mit cloisonnéverzierung ist
bekannt. Wenn das Stück aus Gold gefertigt wurde, ist es
doch sehr viel schlichter ausgeführt. es stammt aus Zaragij
(resp. kobardino-Balkaria / ruS) Grab 118 55 (abb. 4). der
weit entfernte Fundplatz zeigt, dass sowohl die kaukasische Schwertscheide als auch die aus dem childerichgrab
nicht an ihren Fundorten gefertigt wurden.
15. saxaufhängung
Zur Befestigung des Saxes am Gürtel dienten vermutlich
einige Schnallen und riemenschieber (vgl. nr. 26. 33-35).
eine sichere ansprache ist aber unmöglich.
16. lanzenspitze
Taf. 11, 1
unvollständig, stark korrodiert. Seit 1828 verschollen.
Lit.: Chiflet 1655, 218. – Cochet 1859, 129 f. 141 (die
dort abgebildete Lanze stammt nicht aus dem childerichgrab; vgl dumas 1975). – dumas 1975, 23 Taf. 5. – Böhner 1981, 450 abb. 135, 2. – dumas 1982, nr. a.
Burzler u. a. 2002, Bd. 1, 127; Bd. 2, 129 Taf. 31.
ament 1992, 29 f. Taf. 20, 3-7.
55 kat. Mannheim 2001, 142 f. nr. 4.5.1. – atabiev 2002, 78 abb.
oben.
53
54
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Kommentar: Die Lanzenspitze ist typologisch und chronologisch nicht genau zu bestimmen, die Form und Länge
der Tülle ist nicht zu rekonstruieren, das Blatt war anscheinend rhombisch.
17. franziska
Taf. 11, 3
original erhalten. L. 20 cm. Gew. 935 g.
Lit.: Chiflet 1655, 210. – Cochet 1859, 119. – Dumas
1975, 23 nr. c9 Taf. 5, 9. – Böhner 1981, 450 abb. 135,
1. – dumas 1982, nr. 4.
Kommentar: Die Franziska mit gleichmäßig gewölbter Unterkante gehört zum Typ a nach Böhner und ist in dessen
Stufe II (450-525) mehrfach in reich ausgestatteten Männergräbern belegt 56.
18. schildbuckel
Taf. 11, 2
Fragment, eisen. Seit 1831 verschollen. anscheinend gab
es mehrere Fragmente, die stark korrodiert waren und »in
Bruchstücke zersprangen« (»ferrum putre in fragmenta
dissiluerit«).
Lit.: Chiflet 224 f. – Cochet 1859, 149 f. – Böhner 1981,
458 abb. 137, 11.
Kommentar: Das Fragment wurde von Chiflet als Hufeisen
interpretiert. erst im rahmen der Frankenausstellung 1996
in Mannheim wurde das Fragment als Schildbeschlag erkannt. ursula koch, karin von Welck und alfried Wieczorek dachten an einen Schildbuckel, Patrick Périn und Michel kazanski an einen Schildrandbeschlag (für den es aber
keine Vergleichsfunde aus der Merowingerzeit gibt) 57.
D. Insignien
19. siegelring
Taf. 12-13, 1-3
Gold. auf der Zierplatte Brustbild des königs im Panzer
und paludamentum mit Lanze in der rechten Hand, langes auf die Schulter fallendes Haar mit Mittelscheitel, bartlos, spiegelbildliche Inschrift am Rand: CHILDIRICI REGIƧ.
(Gelegentlich wird erwähnt, childerich trage auf dem
Siegelbild einen Halsring [roth 2002, 130 f.], ich kann
keinen Halsring erkennen) Seit 1831 verschollen. InnenDm. (nach Abb. bei Chiflet und erhaltenen Abdrücken)
2,4 cm × 1,4 cm, Siegelplatte 2,1 cm × 1,7 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 96. – Cochet 1859, 361-371. – Dumas
1975, 23 f. nr. c10 Taf. 6, 10. – Böhner 1981, 452 abb.
135, 5. – dumas 1982, nr. 12. – kat. Mannheim 2001,
64. – von rummel 2007, 265-268. – Hadjadj 2007, 323
nr. 422-423. – Berndt 2009, 52-56.
Kommentar: Der Siegelring ist sicherlich der wichtigste
Fund des Grabes, erlaubt er doch die Identiizierung des
Bestatteten 58. er ist zwar nicht erhalten, allerdings sind
vier originalabdrücke in London, Paris, nantes und oxford überliefert (Taf. 12), die aber deutlich von der abbildung bei Chiflet abweichen 59. ein weiterer abdruck
unbekannten Alters beindet sich im RGZM (Taf. 12); vermutlich hat ihn Ludwig Lindenschmit bei der abformung
der childerichfunde in Paris erhalten. obwohl aus der Völkerwanderungszeit und dem Frühmittelalter nur wenige
Siegelringe bekannt sind, hat Guido Berndt kürzlich die
kontinuierliche nutzung von Siegelringen von der antike
bis ins Frühmittelalter herausgestellt 60. die ringe dienten
zum Beglaubigen, aber auch zum Versiegeln von nachrichten im diplomatischen Schriftverkehr. Sie sind daher
auch Hinweise auf die Literarität ihrer Benutzer 61. nicht
zu unterschätzen ist aber auch ihre Funktion als »Propagandamittel«, ist doch childerich auf dem Siegelbild dargestellt wie der römische kaiser – allerdings mit langem
Haar 62. Mit jedem Siegelvorgang verbreitete er nicht nur
sein Bild, sondern auch seinen Herrschaftsanspruch, denn
auch wenn die Inschrift im Genetiv verfasst ist, so teilt sie
doch klar mit, dass childerich könig ist, vermutlich gerade
nach seiner rückkehr aus dem thüringischen »exil« von
besonderer Bedeutung.
Helmut roth sah in dem Siegelring ein von ostrom verliehenes Hoheitszeichen an einen Vasallenkönig – das Siegelbild sei daher keine Selbstdarstellung 63. In den bislang
als Leibgardisten interpretierten langhaarigen Männern
auf dem Mosaik von ravenna sah er ebenfalls von ostrom
abhängige könige, denn sie seien der darstellung childerichs sehr ähnlich, und dieser ist durch die Inschrift als
»rex« bezeichnet. Philipp von rummel hat dagegen betont, dass die langen Haare wohl »der üblichen äußeren
erscheinung eines hochrangigen Soldaten« des 5. Jhs.
entsprachen. die darstellung childerichs sei vielmehr ein
Beleg für eine »besondere art der romanisierung«, childerich sei als Feldherr, nicht als spätrömischer Herrscher
abgebildet 64.
56
Böhner 1958, 166 f.
koch / von Welck / Wieczorek 1997, 883. – Périn / kazanski
1997, 176.
58 Mögliche Zweifel äußerte Halsall 2001, 117. – Vgl. dazu auch
Berndt 2009, 55 anm. 32.
59 MacGregor 1999. – Salün 2008.
60 Hadjadj 2007, 423. – Weber 2007. – aubry 2011. – Spier 2007,
17-27. – Berndt 2009.
61
57
62
richter 2004.
von rummel 2007, 213-231 (dort ausführliche diskussion der
Frisur und deren Interpretation in der bisherigen Forschung).
265-268. – Vgl. auch kornbluth 2008.
63 roth 2002.
64 von rummel 2007, 265-268 bes. 267. Zu den anderen bei roth
angeführten attributen der »Vasallenkönige« ebenda 213231. – Vgl. auch Richter 2004.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
175
abb. 3 Aufbau des Zellwerks auf dem Mundblech mit Randbeschlag des Saxes aus dem Childerichgrab. – (Graphik M. Ober, RGZM). –
o. M.
176
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
1
2
abb. 4
3
Zaragij (Resp. Kobardino-Balkaria / RUS) Grab 118: 1 Befund. – 2-3 Schwerter. – (nach atabiev 2002, 78 f.). – o. M.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
177
Sollte es sich bei dem ring wirklich um ein vom oströmischen kaiser verliehenes Hoheitszeichen handeln, wie
Roth meint, so stellen sich zwei Fragen: Warum war der
Hersteller nicht in der Lage, die gesamte Inschrift fehlerfrei
zu gravieren? das letzte S ist spiegelverkehrt. und warum
fehlt jeglicher Hinweis auf den kaiser? Prokop erwähnt
die entrüstung, die Theudebert (533-547), der urenkel
childerichs, hervorrief, als er als erster der fränkischen
könige Münzen mit ausschließlich seinem eigene namen
und dem Zusatz dominus noster prägen ließ 65. Bis dahin
wurde der oströmische kaiser abgebildet und genannt.
Ist es wahrscheinlich, dass der römische kaiser bei der
Vergabe von Siegelringen an einen Vasallenkönig auf die
nennung der eigenen Person verzichtete?
20. kugel aus bergkristall
Taf. 13, 4-5
Geschliffen. original erhalten. dm. 4,5-4,6 cm (dumas
1975, 29), 5 cm (kat. Tournai 1982, 71). Gew. 134 g (kat.
Tournai 1982, 71).
Lit.: Chiflet 1655, 243. – Cochet 1859, 299. – Dumas
1975, 29 f. nr. c13 Taf. 6, 13. – Böhner 1981, 458 abb.
137, 39. – dumas 1982, nr. 6. – Quast 2010. – kat. aachen 2014, 69 f. nr. 069.
Kommentar: Galt die Bergkristallkugel lange Zeit als Hinweis auf eine mitbestattete Frau, so konnte vor wenigen
Jahren gezeigt werden, dass es sich dabei um den oberen
abschluss eines spätantiken Zepters handelt. aus bildlichen Quellen waren Zepter durchaus bekannt, doch waren das Material und die Verbindung zwischen Stab und
kugel unklar. erst ein Hortfund aus dem frühen 4. Jh. von
den nordöstlichen Hängen des Palatin in rom mit drei
Zeptern ließ daher diese Interpretation der Bergkristallkugel aus dem childerichgrab zu 66.
e. teile des königsschatzes
21. goldmünzen
Taf. 14
Von den über 100 Solidi lagen Chiflet 89 zur Bestimmung
vor. original erhalten sind zwei Solidi Leos I aus der Münzstätte konstantinopel (Taf. 14, 13-14) (bei Chiflet nicht
abgebildet – dumas 1982, nr. 5.a-b); alle weiteren sind
seit 1831 verschollen. (die folgende Bestimmung nach Fischer / Lind 2015, 17 Tab. 2. – einzelbestimmung der Solidi
bei Lallemand 1965, 115 f.)
kaiser
Theodosius II.
Theodosius II.
Valentinian III.
Valentinian III.
Marcian
Leo I.
Leo I.
Julius nepos
Basiliscus
Basiliscus & Marcus
Zeno
Zeno & Leo
anzahl
65
Prokop, Bell. Got. III,33.
178
Münzstätte
konstantinopel
konstantinopel
ravenna
konstantinopel
konstantinopel
Thessaloniki
konstantinopel
ravenna
konstantinopel
konstantinopel
konstantinopel
konstantinopel
Lit.: Chiflet 1655, 252. – Cochet 1859, 411. – Dumas
1975, 28 f. nr. c11-c12 Taf. 7. – Böhner 1981, 453 f. abb.
136, 1-12. – dumas 1982, nr. 5. – r.-alföldi / Stribrny
1998, 37-39. – Fischer / Lind 2015.
Kommentar: Die große Anzahl an Solidi ist einmalig für
ein spätantikes Grab. Lange Zeit galten die Münzen als
Föderatenzahlungen aus dem oströmischen reich, entstammen doch die meisten Prägungen der Münzstätte
ric X
232-237. 257-260
282-293
2035-2036
505-506
507-511
620-627
605. 630
3212-3213
1001-1007
1010-1012. 1019-1024
911
906
66
chronologie
431-434
441-443
435
452
451-456
457
462-471
474-477
475-476
476
474-475, 476-491
476-477
anzahl
1
1
1
1
8
1
57
1
1
2
14
1
89
Quast 2010 (zu weiteren, älteren Interpretationen vgl. Beitrag
ament in diesem Band). Zum Hortfund vom Palatin vgl. jetzt
Panella 2011, bes. 28 f. 177-181.
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
konstantinopel 67. Max Martin hatte vermutet, der Münzschatz könne evtl. über das Thüringerreich mit childerich
in die Belgica II gelangt sein, doch fehlen hierfür argumente 68. Jüngst haben sich Svante Fischer und Lennart
Lind mit den Münzen aus dem childerichgrab beschäftigt. Sie betonen, dass der Solidusschatz aus zwei unterschiedlichen Teilen besteht: einem älteren, westlichen
mit Prägungen der zehnten Vota von Valentinian III. und
einem jüngeren, östlichen mit Münzen Leos I., die in großer Masse nach Italien exportiert worden seien, um anthemius zu stützen 69. childerich habe die östlichen Solidi
über Italien vermittelt bekommen 70. Prägungen westlicher usurpatoren fehlen im Grab, worin Fischer und Lind
eine bewusste auslese der beigegebenen Münzen durch
chlodwig sehen 71.
22. silbermünzen
Taf. 13, 6-9
Von über 200 »numismatica argentea« gelangten nur 42
an Chiflet. Die Prägungen waren teilweise stark korrodiert und nur schwer zu bestimmen. Seit 1831 verschollen. (Bestimmung nach Fischer / Lind 2015, 22) Vier der Silbermünzen waren gelocht: Hadrian, 134/138, Rom, RIC II
244 d – antoninus Pius, 148/149, rom, rIc III 181 – Lucius
Verus, 161, rom, rIc III 463. – constantius II, 351/355,
konstantinopel?, rIc VIII 102 (Bestimmung nach r.-alföldi / Stribrny 1998, 40).
Lit.: Chiflet 1655, 271. – Cochet 1859, 338. 413 f. – Dumas 1975, 28 f. Taf. 7, a-d. – Böhner 1981, 454 abb.
136, 13-16. – dumas 1982, nr. B. – Martin 2004. – r.alföldi / Stribrny 1998. – Fischer / Lind 2015.
Kommentar: Bei den meisten Denaren handelt es sich um
Münzen des 2. Jhs., die im Gegensatz zu denen nach 195
geprägten einen hohen Silbergehalt aufweisen. Innerhalb
des römischen reiches verschwanden diese hochwertigen
denare rasch aus dem umlauf 72. Im Barbaricum hatten
diese Münzen keine Zahlungsfunktion; sie dienten quasi
als »kleinstbarren« und überdauerten so die Jahrhunderte. Sowohl Martin als auch r.-alföldi und Stribrny gehen daher davon aus, dass es sich bei den Silbermünzen
aus dem childerichgrab um einen außerhalb des reiches
r.-alföldi / Stribrny 1998, 37 f.
Martin 2004, 260.
69 Fischer / Lind 2015, 19.
70 ebenda 13-20.
71 ebenda 29 f.
67
68
kaiser
republik
nero
Trajan
Hadrian
antoninus Pius
Faustina I.
Marc aurel
Faustina II.
Lucius Verus
commodus
Julia domna
caracalla
constantius II.
anzahl
ric
chronologie anzahl
unbestimmt
1
rIc I
50-68
1
rIc II
98-117
2
rIc II
117-138
5
rIc III
138-161
9
rIc III
138-161
3
rIc III
140-180
7
rIc III
147-180
3
rIc III
161-169
6
rIc III
172-192
2
rIc IV
193-217
1
rIc IV
196-217
1
rIc VIII
351-355
1
42
zusammengestellten Schatz handelt 73. die Silbermünzen
seien durch germanische Gruppen im 5. Jh. wieder in das
(ehemalige) reichsgebiet gelangt. childerich habe evtl.
den Silbermünzschatz während seines exils in Thüringen
an sich gebracht.
23. achatgefäß
nur kleines Fragment, nicht näher beschrieben (»fragmentum vasculi ex achate gemmâ«), verschollen.
Lit.: Chiflet 1655, 48. – Cochet 1859, 385-387. – Böhner
1981, 458.
Kommentar: Edelsteingefäße sind als Luxusartikel in einiger anzahl aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bekannt 74. Vermutlich handelt es sich bei dem Gefäß
aus dem Grab childerichs um einen solchen »altfund«. In
frühgeschichtlichen Prunkgräbern inden sich immer wieder mehrere Generationen alte Gefäße, die als Teile eines
königs- bzw. Familienschatzes interpretiert werden, etwa
in Krakovany-Stráže (okr. Piešťany / SK) die große Lanx, in
apahida (jud. cluj / ro) Grab I die beiden Silberkannen
oder in Sutton Hoo (Suffolk / GB) die große Silberplatte mit
Stempeln des byzantinischen kaisers anastasius 75.
dagegen Fischer / Lind 2015, 25-29 (die sich allerdings auf relativ wenige ausnahmen berufen; vgl. Schubert 1992, 278).
73 In diesem Sinne auch Fischer / Lind 2015, 25-29.
74 Bühler 1973.
75 Quast 2011.
72
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
179
f. Sonstiges und funktional nicht eindeutig zuweisbare funde
24. nadel
Taf. 15, 1
Gold, das obere ende anscheinend zu einer Tülle gerollt.
Seit 1831 verschollen. L. (nach Abb. bei Chiflet) 7,6 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 145. – Dumas
1975, 41 nr. c23 Taf. 10, B. – Böhner 1981, 458 abb.
137, 40. – dumas 1982, nr. e.
Kommentar: Nadeln sind in Männergräbern nicht selten
anzutreffen, wenngleich sie zumeist aus Bronze, seltener
aus Silber oder Bein gefertigt worden waren. Sie gehörten
wohl zur Militärausstattung 76.
25. schnallendorn
Taf. 15, 2
Gold, Granateinlagen. original erhalten; kopie aus dem
17. Jh. im Tiroler Landesmuseum Innsbruck. L. 2,1 cm.
Gew. 4,46 g.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 240. – Dumas
1975, 35 nr. c17 Taf. 8, 17. – Böhner 1981, 458 abb.
137, 36 Taf. 31, 4. – dumas 1982, nr. 9.
Kommentar: Der relativ kleine Dorn hat sehr wahrscheinlich zu einer der beiden Schuhschnallen gehört. einen vergleichbaren cloisonnierten dorn zeigen die Schuhschnallen aus apahida (jud. cluj / ro) Grab II, das chronologisch
genau in denselben Zeitraum gehört, wie das childerichgrab 77.
26. nierenförmiger laschenbeschlag
Taf. 15, 3
Gold, nierenförmige Granateinlage, auf dem rand mugelige einlagen oder Goldniete. Seit 1831 verschollen. B.
(nach Abb. bei Chiflet) 1,9 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 241 Abb. 3. –
dumas 1975, 34 Taf. 8, c. – Böhner 1981, 458 abb. 137,
37. – dumas 1982, nr. J.
Kommentar: Eine typische Schnallenform aus der zweiten
Hälfte des 5. Jhs., allenfalls durch die mugeligen einlagen
auf dem rand aus der »Masse« herausgehoben. die Funktion ist nicht sicher zu bestimmen, denkbar wäre, dass die
Schnalle zur aufhängung des Saxes gedient hat. Für die
aufhängung der schmalen Langsaxe liegen bislang keine
eingehenden untersuchungen vor. Befunde mit kleinen eisenschnallen, die eine schräge Trageweise nahelegen, sind
aus eschborn (Main-Taunus-kreis / d) Grab 9 bekannt 78.
ein weiterer Befund aus aldingen (Lkr. Ludwigsburg / d)
Grab 7 mit zwei eisenschnallen deutet ebenfalls auf eine
Zweipunktaufhängung hin 79. ein klarer Befund ist für den
»dolch« aus Brut (resp. Severno-ossetinskajs / ruS) kurgan 2 überliefert. er war mit drei Schnallen gegürtet 80.
ament 1970, 94 f. (mit weiterer Lit.). – Quast 1993, 59 abb. 33.
Horedt / Protase 1972,192 Taf. 39, 1-2.
78 ament 1992, 58 abb. 3.
79 Schach-dörges 2004, 60. 67.
80 kat. Mannheim 2001, 46. 125 mit a.3.1 (Befund). – Ähnlich rekonstruiert wird eine aufhängung aus dem leider ohne Befund76
77
180
27. schnalle mit nierenförmigem Laschenbeschlag
Taf. 15, 4
Gold, Beschlag mit nierenförmiger Granateinlage, auf
dem Beschlagrand drei Goldniete. Seit 1831 verschollen.
L. (nach Abb. bei Chiflet) 2,6 cm, B. 1,9 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 241 Abb. 1. –
dumas 1975, 34 Taf. 8, B. – Böhner 1981, 453 abb. 135,
10. – dumas 1982, nr. J.
Kommentar: Die Schnalle wurde von Böhner dem Taschenbügel (nr. 6) zugeordnet 81. denkbar wäre aber auch
eine Zuweisung zur Saxaufhängung (vgl. nr. 15) oder eine
andere Funktion.
28. schnalle mit rechteckigem Beschlag
Taf. 15, 5
Gold, dornschild und Beschlag mit je einer rechteckigen
Granateinlage, Beschlag und Bügel vermutlich mittels Lasche verbunden (nicht erkennbar auf der abbildung), auf
der rückseite rechteckiger durchzug, der anscheinend mit
einem dorn versehen ist. Seit 1831 verschollen. B. Bügel
(nach Abb. bei Chiflet) 2,6 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 241. – Dumas
1975, 34 f. Taf. 8, F. – Böhner 1981, 455 abb. 137, 10. –
dumas 1982, nr. J.
Kommentar: Zu der Schnalle sind mir keine Parallelen
bekannt. der rechteckige Beschlag zeichnet sich auf der
rückseite durch einen durchzug aus, der anscheinend mit
einem dorn zur Fixierung des Gurtes versehen war. damit würde es sich um eine »doppelschnalle« handeln. am
besten wäre eine solche Schnalle an der Gürteltasche zu
verwenden: Die Rückseite mit dem Durchzug könnte zur
Befestigung am Leibgurt dienen, die eigentliche Schnalle
zum Verschließen der Tasche 82. die Interpretation ist allerdings hypothetisch, solange analogien zu dem objekt
fehlen.
29. schnalle
Taf. 15, 6
Gold. Seit 1831 verschollen. B. (nach Abb. bei Chiflet)
2,3 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 236. – Cochet 1859, 242. – Dumas
1975, 35 Taf. 8, G. – Böhner 1981, 458 abb. 137, 38. –
dumas 1982, nr. J.
Kommentar: Vergleichbare, schlichte Schnallen sind in einiger Zahl bekannt. aus dem zweiten Grab von apahida
(jud. cluj / ro) stammen zwei goldene exemplare, deren
Funktion sich aber nicht bestimmen lässt 83. In Blučina (okr.
Brno-venkov / cZ) fanden sich zwei silberne Schnallen im
beobachtung überlieferten »Volnikovka-Schatz«: Kat. Moskau
2014, 26.
81 Böhner 1981, 453.
82 Vgl. Brown 1977, 459 abb. 5.
83 Horedt / Protase 1972, 204 Taf. 48, 1-2.
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Bereich der Füße des Toten – zusätzlich zu den Schuhschnallen 84.
30. runder, hohler beschlag
Taf. 15, 7-8
Gold, cloisonniert, an der Basis der relativ hohen außenzarge feiner Perldraht, im Inneren Steg aus Golddraht, in
der Mitte etwas einziehend. original erhalten. dm. 1,41,5 cm (Basis verformt), H. 0,6 cm. Gew. 6,28 g.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 195 Abb. 6. –
dumas 1975, 35 f. nr. c18 Taf. 9, 18. – Böhner 1981, 455
Taf. 31, 5d. – dumas 1982, nr. 11.
Kommentar: Der kleine Knopf weist auf der Rückseite im
Inneren (!) einen Steg auf. es handelt sich daher nicht um
einen riemenschieber. er musste mit einer Lederschlaufe
befestigt werden. Wahrscheinlich diente er als Zierknopf
für die Schwertperle. aber auch diese Interpretation muss
hypothetisch bleiben.
31. beschlag mit stegöse
Taf. 15, 9
Gold, Schauseite und Seiten mit Granateinlagen. Seit
1831 verschollen. Dm. (nach Abb. bei Chiflet) 2,5 cm, L.
Stegöse 1 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 195 Abb. 2-3. –
dumas 1975, 37 f. Taf. 4. – Böhner 1981, 449 f. abb. 133,
1. – dumas 1982, nr. k (links).
Kommentar: Holger Arbman und ihm folgend Kurt Böhner haben den Beschlag als knauf des Saxes interpretiert 85. allerdings ist ein vergleichbarer scheibenförmiger
knauf bislang unbekannt. auch die Stegöse erscheint für
eine Befestigung an einer Griffangel ungeeignet. Stegösen sind im 6. und 7. Jh. regelhaft an mediterranen Gürtelschnallen zu inden. Sie dienten zu einer reversiblen Fixierung des Metallbeschlags auf dem Gürtelleder 86. Zwar
weisen die Stegösen dieser Schnallen nur ein Loch auf und
sind dementsprechend etwas kürzer, doch wäre für den
Beschlag aus dem childerichgrab auch eine Befestigung
oder »Vernietung« mehrerer Lagen organischen Materials
denkbar.
32. runder beschlag mit schlaufe
Taf. 15, 11
auf der rückseite, Gold, cloisonniert, am rand umlaufend
mugelige (?) Granateinlagen. Seit 1831 verschollen. dm.
(nach Abb. bei Chiflet) 1,5 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 195 Abb. 5. –
dumas 1975, Taf. 9, d. – Böhner 1981, 448 abb. 132,
8. – dumas 1982, nr. k.
Kommentar: Böhner hat den Beschlag als Zierknopf der
Schwertperle interpretiert 87. aufgrund der mugeligen
Tihelka 1963, 479 abb. 10, 1. 3.
arbman 1947-1948, 119 abb. 23. – Böhner 1981, 449 f.
86 Werner 1984, 21 anm. 80.
einlagen am rand würde der kleine knopf aber eher zur
Saxgarnitur passen. eine sichere Interpretation ist jedoch
nicht möglich.
33. beschlag
Taf. 15, 13
Gold, Granateinlagen, auf dem oberen rechteckigen Teil
anscheinend stabförmige einlagen, naht zwischen Zargen
und Grundplatte mit feinem Perldraht verziert, auf der
rückseite rechteckiger durchzug. Seit 1831 verschollen.
B. (nach Abb. bei Chiflet) 1,9 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 438. – Dumas
1975, Taf. 9, e. – Böhner 1981, 455 abb. 137, 2. – dumas
1982, nr. k.
Kommentar: Vergleichbare Beschläge sind in einiger Zahl
aus den reichen kriegergräbern der Zeit zwischen 460 und
510 bekannt. Sie werden im allgemeinen mit der aufhängung des Saxes in Verbindung gebracht, doch ist der aufgrund des durchzugs mit ca. 0,8 cm Breite zu rekonstruierende riemen relativ schmal 88.
34. runder riemenschieber
Taf. 15, 12
Gold, Schauseite cloisonniert, Seite mit stabförmigen almandinen, auf der rückseite anscheinend rechteckiger
durchzug. Seit 1831 verschollen. dm. (nach abb. bei
Chiflet) ca. 2,3 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, Abb. 1. – Dumas
1975, 37 Taf. 9, a. – Böhner 1981, abb. 137, 6. – dumas
1982, nr. k.
Kommentar: Der runde Riemenschieber ähnelt aufgrund
der einlagen der Gürtelschnalle (nr. 5). der durchzug ist
aber nur für einen max. 2 cm breiten Gurt gemacht, sodass der Schieber kaum zum Leibgurt gehörte, lässt doch
die Beschlagbreite der Schnalle auf einen fast 3 cm breiten
Gürtel schließen. Wo der runde riemenschieber angebracht war, bleibt unklar. Vergleichbare runde Gürtelbeschläge sind aber in einiger anzahl aus dem Mittelmeergebiet bekannt 89.
35. achtförmiger riemenschieber
Taf. 15, 14
Gold, cloisonniert, am rand umlaufend mugelige Granateinlagen, auf der rückseite anscheinend zwei rechteckige
durchzüge. Seit 1831 verschollen. L. (nach abb. bei chifflet) 3,2 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 226. – Cochet 1859, 195 Abb. 4. –
dumas 1975, Taf. 9, B. – Böhner 1981, 455 abb. 137,
7. – Dumas 1982, Nr. K.
Kommentar: Wo der Riemenschieber angebracht ist, ist
unklar; denkbar wäre die Saxaufhängung (vgl. nr. 15).
Böhner 1981, 448.
Zuletzt Quast im druck b, nr. IV.87.
89 Quast 1996.
84
87
85
88
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
181
36. schildförmiger beschlag
Taf. 15, 10
Gold, Schauseite und Seiten mit Granateinlagen, augen
der Vogelköpfe anscheinend eingeschliffen und mit Golddraht ausgelegt, sechs Goldniete. Seit 1831 verschollen. L.
(nach Abb. bei Chiflet) 7,5 cm, B. 4,1 cm.
Lit.: Chiflet 1655, 204. – Cochet 1859, 291. – Dumas
1975, 39 nr. c21 Taf. 9, H. – Böhner 1981, 444 f. abb.
132, 7. – dumas 1982, nr. c.
Kommentar: Der von Chiflet noch als »extremus Balthei
ornatus« angesprochene Beschlag wird seit den arbeiten kurt Böhners zum childerichschwert als ortbeschlag
der Spathascheide interpretiert 90. Man könnte beim derzeitigen Forschungsstand ebenso gut an einen Saxknauf
denken 91, wie gerade ein gut dokumentierter Befund aus
Zaragij (resp. kobardino-Balkaria / ruS) Grab 118 (abb. 4)
und der altbekannte Sax aus Pouan (dép. aube / F) nahelegen 92.
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Quast 2003, 604 abb. 6, 9.
91 So schon arrhenius 1985, 108 abb. 114.
90
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92
Zuletzt Quast 2003, 608 (mit weiterer Lit). – Zu einem weiteren
schildförmigen Beschlag aus oros (kom. Szabolcs-Szatmár-Bereg / H) vgl. Bóna 1991, 172 abb. 108; 289 f. nr. 108. – arrhenius 1985, 129 abb. 146 (mit Fundortangabe »németkér«, die
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das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
185
Tafel 1
2
1
3
4
186
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tournai, Childerichgrab: 1 Kolbenarmring, Gold (kat.-nr. 1). – 2 Fingerring, Gold (kat.-nr. 2). – 3
Zwiebelknopfibel, Gold (Kat.-Nr. 4).
– 4 Nachbildung aus dem RGZM. –
(1 nach Chiflet 1655, 236; 2 nach
Chiflet 1655, 96; 3 nach Chiflet
1655, 182; 4 Foto rGZM). – 1-3
M. 1:1.
Tafel 2
1
2
3
4
Tournai, Childerichgrab: 1 Gürtelschnalle, Gold mit Granateinlagen (kat.-nr. 5). – 2 Taschenbügel, Gold mit Granateinlagen (Kat.-Nr. 6). –
3-4 Schuhschnallen, Gold mit Granateinlagen (Kat.-Nr. 7-8). – (1. 3-4 nach Chiflet 1655, 236; 2 nach Chiflet 1655, 226). – M. 1:1.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
187
Tafel 3
1a
1a
1b
1b
1d
1c
1d
Tournai, Childerichgrab: 1 Spatha, Griffpartie, Gold, außer c mit Granateinlagen (kat.-nr. 9). – a knauf; b knaufstange; c Goldgriff;
d Parierstange. – (Fotos RGZM). – M. 1:1.
188
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 4
1
2
Tournai, Childerichgrab. Detailaufnahmen:
1 Oberseite der Knaufplatte (Kat.-Nr. 9b). –
2 Unterseite der Knaufplatte (Kat.-Nr. 9b). –
3 Goldblech des Griffs mit Lötnaht (Kat.-Nr.
9c). – (Fotos rGZM).
3
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
189
Tafel 5
1
2
3
4
Tournai, Childerichgrab. Detailaufnahmen der Parierstange (Kat.-Nr. 9d): 1 Schrägaufnahme. – 2 unterseite. – 3 oberseite. – 4 außenkante mit Flechtband. – (1 Foto rGZM; 2-4 nach arbman 1947-1948, 105 f. abb. 6-8).
190
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 6
1a
1b
1c
1d
4a
5
2
4b
6
3
Tournai, Childerichgrab: Beschläge der Spathascheide. – 1 Mundblech, Gold mit Granateinlagen (kat.-nr. 10a); 2-3 riemendurchzüge,
Gold mit Granateinlagen (kat.-nr. 10b); 4-6 ortbandfragmente, Bronze, vergoldet mit Granateinlagen (kat.-nr. 10c). – (1. 4 nach dumas
1975, Taf. 2, 6; 3, 5. – 2-3. 5-6 nach Chiflet 1655, 194. 226). – M. ca. 1:1.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
191
Tafel 7
1a
1b
2a
2c
3a
2b
3b
6
7
8
4a
4b
5a
5b
9
Tournai, Childerichgrab: Beschläge vom Schwertgurt,
Gold mit Granateinlagen. – 1 Schnalle (kat.-nr. 11a);
2 Stierkopf (kat.-nr. 11e); 3-5 d-förmige Beschläge
(kat.-nr. 11b); 6-7 vierpassförmige Beschläge (kat.-nr.
11c); 8 riemenendbeschlag (kat.-nr. 11d); 9 detail
von 3a. – (1b nach kat. Mannheim 2001, 173 abb.
4.16.3.2; 3a.b nach dumas 1975, Taf. 9, 19; 9 Foto
RGZM, sonst nach Chiflet 1655, 141. 226. 236). –
1-8 M. ca. 1:1.
192
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 8
1
3
7
8
13
14
2
4
9
15
5
6
10
11
12
16
17
18
19-22
23-26
Tournai, Childerichgrab: bienenförmige Beschläge vom Spathagurt, Gold mit Granateinlagen (Kat.-Nr. 11f). – (1-2 nach Dumas 1975, Taf.
6, 14-15; 3-18 nach Chiflet 1655, 141; 19-26 nach Chiflet 1655, 322). – 1-18 M. 1:1, 19-26 M. 2:1.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
193
Tafel 9
1
2
3
4
Tournai, Childerichgrab: Beschläge der Saxscheide, Gold mit Granateinlage (Kat.-Nr. 14), Unterseite vom Ortband mit einer Achateinlage. –
(Fotos RGZM). – M. 1:1.
194
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 10
1
2
3
Tournai, Childerichgrab: Beschläge der Saxscheide (Kat.-Nr. 14), Detailaufnahmen. – (Fotos RGZM).
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
195
Tafel 11
2
1
3
Tournai, Childerichgrab: 1 Lanzenspitze, eisen (kat.-nr. 16). – 2 Schildbuckelfragment, eisen (kat.-nr. 17). – 3 Franziska, eisen (kat.-nr.
18). – (3 Foto RGZM; sonst nach Chiflet 1655, 210. 218. 224). – M. 1:1.
196
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 12
1
2
3
4
5
Tournai, childerichgrab. abdrücke des Siegelrings (2-5 abdrücke vom originalring; 1 vermutlich Abdruck einer Kopie): 1 RGZM. – 2 Ashmolean Museum oxford. – 3 British Museum London. – 4 Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris. – 5 Musée departmental dobrée, nantes.
– (1 Foto V. Iserhardt, RGZM; 2 nach MacGregor 1999, 161 Abb. 7; 3-5 nach Salün 2008, 221 Abb. 10-12). – 1 M. 1:1, sonst o. M.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
197
Tafel 13
1
2
3
4
6
7
8
5
9
Tournai, Childerichgrab: 1 Siegelring (kat.-nr. 19); 2 abdruck vom Siegelring; 3 nachbildung des Siegelringes im rGZM; 4-5 Bergkristallkugel (kat.-nr. 20); 6-9 Silbermünzen (kat.-nr. 22). – (3 Foto V. Iserhardt, rGZM; 5 nach kat. aachen 2014, 70 abb. 069; sonst nach
Chiflet 1655, 96. 243. 271). – 1. 4-9 M. ca. 1:1, 2-3 vergrößert.
198
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 14
13
14
Tournai, Childerichgrab: Solidi (Kat.-Nr. 21). – (1-12 nach Chiflet 1655, 252; 13-14 nach Dumas 1975, Taf. 7, 11-12). – M. 1:1.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
199
Tafel 15
1
3
2
4
5
7a
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6
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7b
8b
9b
11b
11a
13
12
14
19
Tournai, Childerichgrab: 1 Goldnadel (kat.-nr. 24); 2-14 Schnallen und Beschläge, deren ursprüngliche Funktion unklar ist, Gold mit Granateinlagen (2 kat.-nr. 25; 3 kat.-nr. 26; 4 kat.-nr. 27; 5 kat.-nr. 28; 6 kat.-nr. 29; 7-8 kat.-nr. 30; 9 kat.-nr. 31; 10 kat.-nr. 36; 11 kat.-nr.
32; 12 kat.-nr. 34; 13 kat.-nr. 33; 14 Kat.-Nr. 35). – (8 nach Dumas 1975, Taf. 9, 18; sonst nach Chiflet 1655, 204. 226. 236). – M. ca. 1:1.
200
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 16
Tournai, Childerichgrab. 1980 im RGZM kolorierte Abbildung der Spatha- und Saxbeschläge aus der Publikation von Chiflet 1655 (Falttafel zwischen S. 202 und 203). – Leicht verkleinert (Maße des
außenrahmens 18,0 cm × 29,3 cm).
Tafel 17
Tournai, childerichgrab. 1980 im rGZM kolorierte abbildung des Taschenbügels sowie weiterer Beschläge aus
der Publikation von Chiflet 1655 (Tafel auf S. 226). – M. ca. 1:1.
202
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 18
Tournai, childerichgrab. 1980 im rGZM kolorierte abbildung des kolbenarmringes und einiger Schnallen aus der
Publikation von Chiflet 1655 (Tafel auf S. 236). – M. ca. 1:1.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
203
Tafel 19
Tournai, childerichgrab. 1980 im rGZM kolorierte abbildung der bienenförmigen Beschläge und der Stierkopfapplikation vom Spathagurt aus der Publikation von Chiflet 1655 (Tafel auf S. 141). – M. 1:1.
204
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tafel 20
Tournai, childerichgrab. nachbildungen aus dem rGZM. – (Foto V. Iserhardt, rGZM).
Tafel 21
206
D. Quast · die Grabbeigaben – ein kommentierter Fundkatalog
Tournai, childerichgrab. nachbildungen aus dem rGZM. – (Foto V. Iserhardt, rGZM).
Tafel 22
Tournai, childerichgrab. nachbildungen aus dem rGZM. – (Foto V. Iserhardt, rGZM).
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
207
dIeTer QuaST
Der vater, eIN fräNkIScher köNIg Im gallIeN
DeS 5. JahrhuNDertS
vOm kaISer aufgegeBeN: gallIeN Im 5. JahrhuNDert
das Grab des fränkischen königs childerich ist ein Schlüsselfund der frühgeschichtlichen archäologie. Wichtiger als das Grab mit seinen Beigaben ist allerdings das Bestattungsritual, das von seinem Sohn chlodwig
inszeniert wurde. er prägte damit das Bild seines Vaters für die Teilnehmer bzw. Gäste der Feierlichkeiten
und letztlich damit auch für die heutigen archäologen. chlodwig ist der agens, childerich lediglich der
patiens. um die Beweggründe chlodwigs zu verstehen, die ihn zu genau diesem Handeln geführt haben,
ist es hilfreich, den historischen kontext etwas zu beleuchten. dieser bildet natürlich auch den rahmen für
childerichs Herrschaft.
Bernhard Jussen hat in mehreren Beiträgen den Verfall der kaiserlichen Macht in Gallien und die Transformation hin zum frühmittelalterlichen königtum analysiert 1. Hauptakteure in diesem Prozess waren die
alten eliten, die sich mit der Besetzung der Bischofsämter eine neue Machtbasis schufen, und die neuen
militärischen eliten, besonders die Heermeister. Während Jussen sich intensiver mit den alten eliten befasst
hat, analysierte egon Flaig den Machtzuwachs der Heermeister im ausgehenden 4. und 5. Jahrhundert, der
einen weitreichenden Machtverlust der kaiser gerade in Gallien bedingte 2.
den ausgangspunkt für diese Transformation sehen Flaig und Jussen in einem ereignis des Jahres 390. der
Franke arbogast – eventuell der Sohn des magister militum Bauto – hatte nach dessen Tod das Heermeisteramt übernommen, indem er sich von seinen Truppen dazu hatte ausrufen lassen 3. die entlassungsurkunde, die ihm Valentinian II. in seinem Palast in Trier übergab, warf er ihm vor die Füße. Zwei Jahre später
stellte arbogast den kaiser in Vienne unter Hausarrest, wo man Valentinian dann am 15. Mai 392 erhängt
fand. arbogast setzte einen neuen kaiser – eugenius – im Westen ein 4. Fortan waren die Heermeister die
entscheidenden Machtfaktoren im Westen, das amt wurde gelegentlich sogar vererbt 5. es beruhte nicht
mehr auf der Gunst des kaisers, sondern auf der Loyalität der Truppen ihm gegenüber. der kaiser hatte
weitgehend die kontrolle über seine armee verloren und damit sein wichtigstes Machtmittel. er hatte seine
politischen Gestaltungsmöglichkeiten eingebüßt. Im 5. Jahrhundert betrat kaum noch ein römischer Kaiser
Gallien. Das Heermeisteramt hingegen verselbstständigte sich und proilierte sich als eigenständige Institution 6. Für Flaig ist dieser Wandel so tiefgreifend, dass er »den einheitlichen Begriff der Spätantike und einer
spätantiken Staatlichkeit für den römischen Westen zur disposition stellt«. er unterteilt die Spätantike in
eine erste Phase von diokletian bis zur erhebung arbogasts zum Heermeister. die zweite Phase reicht bis
zum ende des kaisertums im Westen, und stellt ein neues politisches System dar, »in welchem der kaiser
nicht mehr herrschte, sondern nur noch nominelles oberhaupt war; die faktische Macht übten Heermeister
Jussen 1995; 1998; 2007.
Flaig 2005.
3 demandt 1970, 600. 607-610. – Jones / Martindale / Morris
1971, 95-97 (arbogastes); 159 f. (Flavius Bauto). – Heinzelmann
1982, 558 (arbogastes 1); 570 (Flavius Bauto). – Becher 2009,
1
2
167 f. – kritisch zur ausrufung arbogasts durch die Truppen:
Börm 2013, 34.
4 Zu den Ereignissen vgl. Demandt 2007, 165 f. – Nonn 2010, 56.
5 demandt 2007, 210.
6 Flaig 2005, 7.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
227
abb. 1 Monza, kathedrale. StilichoDiptychon. – (Nach Volbach 1976, Taf. 35). –
H. 32,2 cm.
aus« 7. Es ist schon ausreichend, die Namen einiger der magistri militum zu nennen, etwa alarich, Stilicho,
aëtius und ricimer, um diesen Machtwandel zu unterstreichen 8. das gesteigerte Selbstbewusstsein der
Heermeister im Westen drückt sich auch in der bildlichen repräsentation aus. Stilicho etwa ist auf einem
diptychon als Militär dargestellt (abb. 1). der magister militum per orientem aerobindus hingegen lässt sich
in seiner zivilen amtstracht abbilden (abb. 2) 9.
Der Verfall der kaiserlichen Macht bzw. der Rückzug der Zentralgewalt aus Gallien hatte natürlich weitreichende Folgen für die dortigen eliten, die bis dahin vom kaiserhof legitimiert worden waren. des zentralen
Bezugspunktes beraubt, mussten sie sich auf lokaler ebene neue politische Strukturen schaffen, was ihnen
sehr erfolgreich gelang: »Sie hatten die kirche als neues Bezugssystem politischer Legitimation entdeckt
und das zentrale kirchliche amt in den Städten Galliens, das des Bischofs, umfunktioniert zu einem politischen amt der Stadtregierung« 10. doch sollte man sich diesen Transformationsprozess keinesfalls so einfach
vorstellen. Für die Akteure in Gallien wurde der Zusammenbruch der politischen Ordnung durch weitere
unsicherheiten gesteigert. Bagaudenaufstände 11, durchziehende Heere – egal ob im dienste roms stehend
oder nicht – mussten versorgt werden; oftmals geschah dies durch Plünderung. Neben den zahlreichen
Heermeistern gab es weitere Militärführer, die lokale Herrschaften errichtet hatten. Sie alle handelten ohne
(oder zumindest ohne ernst zu nehmende) Unterstützung des Kaisers, waren ihm auch nicht verplichtet,
sondern agierten im eigenen Sinne. Man würde sie heute als »warlords« bezeichnen, Gallien als raum begrenzter Staatlichkeit, wiederum Jussen folgend 12.
ebenda 10.
demandt 1970. – MacGeorge 2002. – ausbüttel 2007, 73-87
mit weiterer Lit. – Janßen 2004; vgl. dazu Stickler 2005; 2002. –
anders 2010.
9 Volbach 1976, 33 Nr. 10; 55 f. Nr. 63 Taf. 5. 35.
10 Jussen 2014, 26 f. – diefenbach 2013. – kritisch zur regelhaftigkeit senatorischen adels in den Bischofsämtern Patzold 2014.
7
11
8
12
228
drinkwater 1992. – demandt 2007, 370 f. – Lambert 2013.
MacGeorge 2002. – Jussen 2007, 144 f. – risse 2005. –
risse / Lehmkuhl 2006. – Jussen 2014, 39 »aus politikwissenschaftlicher Sicht Warlord-System«. Vgl. allg. zum Begriff des
»warlord« Münkler 2002, 33-36 (mit Lit.).
D. Quast · der Vater, ein fränkischer könig im Gallien des 5. Jahrhunderts
Der Franke Arbogast war nicht der einzige »Nichtrömer«, der im
spätantiken Militär karriere gemacht hatte. Bekannterweise bot
die spätantike armee aufstiegschancen für »eliten mit Migrationshintergrund«. Gerade in Gallien ist im 4. Jahrhundert bis ca.
360 ein hoher Anteil an alamannischen Ofizieren nachzuweisen,
die danach aber von Franken abgelöst werden 13. In dieser Gruppe
sind auch drei Merobaudes überliefert (Merobaudes I.: magister
peditum praesentalis, 363, † 383 – Merobaudes II.: dux Aegypti,
383 – Merobaudes III.: magister utriusque militae, ± 442/443).
Sie tragen ebenso wie ein im frühen 4. Jahrhundert genannter
Frankenkönig Merogaisus das Bestimmungswort »Mero-« in ihrem Namen, das vermuten lässt, dass sie zu einem Zweig der ältesten Merowinger gehört haben 14. die fränkischen eliten waren
seit dem 4. Jahrhundert fest integriert im römischen Heer und im
reichsgebiet ansässig 15. In ihren Funktionen haben sie einblicke in
organisation und Verwaltung erhalten. Sie werden sich sicherlich
nicht als Fremde betrachtet haben, auch wenn es Konlikte mit den
alten reichseliten gab. »die Franken waren einerseits fest in der
römischen Welt verankert und zu einem Teil von ihr geworden«,
beschreibt Matthias Becher die historische Situation 16. Grabsteine
zeigen das Bemühen dieser Menschen, sich an ihr (neues) umfeld anzupassen. aus dem südlichen Gräberfeld von Trier stammt
ein Grabstein für den knaben Merabaudis, der im späten 4. oder
5. Jahrhundert im alter von knapp zwei Jahren verstarb (abb. 3).
HIC QVI VIXIT MERBAVDIS IN PACE QVI VIXIT ANNO ET ME(NSES)
XI. PATRIS DVLCISSIM(I TI)VLV(M) P[OSVERVN] lautet die Inschrift.
Trotz einiger Irrtümer und der verballhornten einleitungsformel
(»qui vixit« statt »hic quiescit«) zeigt nur der Name die fremde
Herkunft des Bestatteten bzw. seiner eltern an 17. auch ein epigraphisches Zeugnis aus Pannonien verdeutlicht die Mentalität dieser
Menschen. Ohne Namen, aber mit Angabe seiner gens wurde im
4. Jahrhundert ein Germane in Budapest verewigt. Seine Selbstbenennung als Franke sollte wohl die eigene abstammung und eine abb. 2 Paris, Musée cluny. aerobindus-diptychon. – (Nach Volbach 1976, Taf. 5 Nr. 10). –
lange Genealogie kennzeichnen. die 2,38 m lange Inschrift lautet: H. 38,8 cm.
FRANCVS EGO CIVES ROMANVS MILES IN ARMIS. EGREGIA VIRTVTe TVLI BeLLo Mea deXTera SeM(P)er (abb. 4). dieses denkmal bietet zusätzlich zu der Inschrift noch eine bildliche darstellung des »Francvs«, auf der unterseite des
Steines. er trägt seinen römischen Militärmantel, den sagum, auf der rechten Schulter mit einer Zwiebelknopfibel geschlossen. Nichts an dieser Darstellung lässt an einen Barbaren denken 18.
Martin 1997. – Geuenich 2014.
Ewig 1991, 22 f. – Zu weiteren frühen Namen mit dem Bestimmungswort »Mero-« vgl. Becher 2011, 114.
15 auf die Frage nach einem möglichen oder unmöglichen archäologischen Nachweis fränkischer Einwanderer braucht hier
nicht eingegangen zu werden. Nur einige Zitate anstelle vieler
geben dem Interessierten einen einblick: Fehr 2010. – Böhme
13
14
2009. – Schmauder 2012, außerdem einige Aufsätze in Taayke
u. a. 2003 (alle jeweils mit ausführlicher Literaturliste).
16 Becher 2011, 71.
17 Kat. Trier 1984, 222 f. Nr. 106. – Kat. Mannheim 1997, 864 f. Nr.
15.
18 Desjardins / Rómer 1873, Taf. 30. – Nagy 2007, 174. – Quast
2015, 306 abb. 1.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
229
doch zurück nach Gallien. In der Mitte des
5. Jahrhunderts verschärfte sich die Situation
dort erneut. Zunächst kam es zum Einfall Attilas
und zur Schlacht auf den katalaunischen Feldern
(451), wenig später zur ermordung des aëtius
(454). einhergehend damit folgt anscheinend die
aufgabe der Grenzverteidigung am rhein. Hatte
man lange Zeit vermutet, bereits die Überschreitung des Flusses durch die suebisch-alanischvandalische konföderation im Winter 406/407
hatte zu einem Zusammenbruch der Grenzlinie
geführt, so haben archäologische ausgrabunabb. 3 Trier, St. Matthias. Grabinschrift für den knaben Merabaugen, besonders im kastell von alzey (Lkr. alzeydis. – (Nach Kat. Trier 1984, 223 Nr. 106). – B. 27 cm.
Worms), gezeigt, dass die Militäranlagen bis zur
Mitte des 5. Jahrhunderts genutzt wurden 19.
Auch die als Vorfeldsicherung angelegten Höhensiedlungen in der Alamannia brechen in dieser Zeit z. T. ab,
oder machen zumindest einen deutlichen Strukturwandel durch. die mit der Grenzsicherung Beauftragten
mussten sich neue aufgaben suchen bzw. sich neu organisieren 20. die Grenzen nach Gallien waren nun
vollends offen. Es ist wohl kein Zufall, dass in den folgenden Jahrzehnten plündernde Alamannen unter
einem ihrer Könige – Gebavult – bis nach Troyes einielen 21.
gallIeN zur zeIt chIlDerIchS: BegreNzte StaatlIchkeIt – kONkurrIereNDe
»warlOrDS«
In diesem zeitlichen kontext wächst childerich auf und beerbt seinen Vater Merowech, ohne dass präzise
Daten bekannt sind; die schriftliche Überlieferung für Childerich ist generell sehr dünn 22. Man kann aus den
Quellen nur die unterschiedlichen akteure herauslesen, die z. T. miteinander, z. T. gegeneinander agierten 23.
Sie hatten zumeist nur einen regionalen aktionsradius und verfügten lediglich über lokale Macht. Von außen sind kriegerische Einfälle der Sachsen und der Alamannen erwähnt, ebenso Kämpfe Childerichs und
aegidius‘ gegen die Westgoten, für aegidius auch auseinandersetzungen mit den rheinfranken und den
Burgundern 24. Für Childerich bedeutender waren wohl die Konlikte innerhalb Galliens. Gregor von Tours
beschreibt ein achtjähriges exil bei den Thüringern und nennt als Grund childerichs wiederholte Vergewaltigungen 25. Während dieser Zeit stellten sich die Salfranken als Föderaten unter den Oberbefehl des Heermeisters aegidius 26. Aegidius und Childerich standen in dieser Zeit, ca. 456, in einem Konkurrenzverhältnis.
David Frye hat dies klar herausgestellt und geht davon aus, dass dieser Konlikt auch nach Childerichs Rück-
19
20
21
22
23
24
oldenstein 1994; 2009, 309-352.
Quast 2008, 313-319.
Geuenich 1997, 74 f.
Vgl. hierzu und zum Folgenden den Beitrag Hardt in diesem
Band.
Vgl. Beitrag Hardt in diesem Band.
Geuenich 1997, 74 f. – Springer 2004, 52-55. – Nonn 2010, 97.
230
Gregor von Tours, Historiae II, 12. – Wirth 1999, 96 deutet an,
dass eine Teilnahme childerichs an der Schlacht auf den katalaunischen Feldern aufseiten der Hunnen ein Grund für die
exilierung gewesen sein könnte.
26 Schneider 1972, 66-69. – ewig 1991, 47-49. – Jarnut 1994. –
Börm 2013, 127. – Zu den Saliern als fränkischer Teilstamm vgl.
Springer 1997. – Nonn 2010, 25-28.
25
D. Quast · der Vater, ein fränkischer könig im Gallien des 5. Jahrhunderts
1
abb. 4 Budapest. Grab(?)stein mit Inschrift
auf der Schauseite (1) und männlicher Büste
auf der unterseite (2). – (1 nach desjardins /
Rómer 1873, Taf. 30; 2 nach Nagy 2007, 174).
– B. 2,38 m.
2
kehr keinesfalls überwunden war 27. die rückkehr childerichs erfolgte sicherlich mit einer schlagkräftigen
kriegergruppe, um sich wieder an die Spitze der Salfranken setzen zu können. 461 sagte sich aegidius nach
der Ermordung des Kaisers Maiorian von der Zentralregierung los. Frye hält es für möglich, dass in den folgenden Jahren childerich der »kandidat« des römischen reiches war und in dessen auftrag handelte 28. So
wahrscheinlich diese darstellung erscheint, sie beruht auf einer dünnen, unsicheren Quellenbasis. andere
Historiker gehen davon aus, Childerich sei an der Seite von Aegidius und seines Nachfolgers, des »comes«
Paulus, in kämpfe gegen die Goten verwickelt gewesen. eugen ewig betont, dass childerich diese aktionen
als föderierter General durchführte, nicht als könig von Tournai 29. ewig hält das achtjährige exil childerichs
für eine wenig wahrscheinliche Legende, die durch seine Heirat mit der Thüringerin Basena, der Mutter
chlodwigs, angeregt sei 30.
auch wenn die Schriftquellen raum für unterschiedliche Interpretationen bieten, so ist doch deutlich, dass
Gallien zu Lebzeiten childerichs aus verschiedenen Herrschaftsgebieten miteinander konkurrierender Heeresführer bestand und zusätzlich kriegerischen Einfällen von außen ausgesetzt war. Diese Herrschaftsgebiete
– nicht zuletzt jenes von childerich mit einer der schlagkräftigsten armeen – waren sicherlich auch anziehungspunkt für zahlreiche Krieger von außen. Eine gewisse Ordnung über diese lokalen Räume hinweg
schafften die alten eliten durch den ausbau des Bischofsamtes zu einem politischen amt der Stadtregierung.
Frye 1992. – Vgl. auch Springer 2004, 52-55 (zu den Sachsen,
Thüringern und odowakar / odoakar) und Halsall 2007, 303 f.
28 Frye 1992, 8 f.
27
29
30
ewig 1993, 16 f. – James 1988, 65. – Wood 1994, 40 f.
Ewig 1991, 49. – Nonn 2010, 100.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
231
chIlDerIch Im SpIegel SeINer graBBeIgaBeN
auch die archäologischen Quellen bieten einigen raum für Interpretationen. Beziehungen childerichs zum
Römischen Reich lassen sich allerdings deutlich an seinen Grabbeigaben ablesen. Zwar wurde die Grabausstattung von chlodwig zusammengestellt, doch wurden alle Beigaben aus dem Bestand childerichs
genommen; keines der objekte wurde extra für die Bestattung angefertigt.
die Herkunft der meisten artefakte aus dem childerichgrab aus dem oströmischen reich ist mittlerweile
in der Forschung anerkannt. am offensichtlichsten ist das bei den über 100 Solidi der oströmischen kaiser
von Theodosius II. (430-443) bis Zeno (476-491). Auch die goldene Zwiebelknopfibel ist den Untersuchungen zum opus interrasile von Bálint László Toth zufolge eine oströmische arbeit aus konstantinopel 31. es
handelt sich dabei aber eben nicht um eine Kaiseribel, wie sie bei der Investitur von barbarischen Königen
vergeben wurde – Prokop beschreibt zwei solche Amtseinsetzungen –, sondern um eine »Beamtenibel« 32.
auch die cloisonnierten Schwert- und Schwertscheidenbeschläge sowie die Gürtelbestandteile werden seit
einigen Jahren als mediterrane arbeiten angesehen 33. oben konnte wahrscheinlich gemacht werden, dass
der Bügel der Gürtelschnalle und diejenigen der Schuhschnallen aus Meerschaum gefertigt waren, was die
ostmediterrane Herkunft dieser Stücke absichert 34.
Bei anderen offensichtlich mediterranen arbeiten ist unklar, ob sie nicht auch aus Italien stammen könnten. Das gilt für die Bergkristallkugel, die vor einigen Jahren als oberer Abschluss eines spätantiken Zepters
identiiziert werden konnte. Richard Delbrueck hatte bereits 1929 vermutet, dass es eine »militärische Form
des Szepters« gegeben habe, denn der magister militum per orientem aerobindus ist auf seinem diptychon
(vgl. abb. 2) mit einem solchen objekt dargestellt, allerdings ist er in seiner zivilen amtstracht zu sehen 35.
obwohl so viele Funde aus dem childerichgrab aus oströmischen Werkstätten stammen, muss das nicht
bedeuten, dass es einen direkten kontakt gab, dass die Münzen beispielsweise das entgelt für den mit dem
kaiser geschlossenen Bündnisvertrag (foedus) spiegeln, wie vielfach angenommen wird 36. Für alle Funde ist
grundsätzlich eine Vermittlung über Italien zumindest nicht auszuschließen. Aus den Schatzfunden von Reggio Emilia / I und Zeccone (prov. Pavia / I) liegen ebenfalls Prägungen oströmischer Kaiser in großer Zahl vor,
die nach Svante Fischer und Lennart Lind aus der östlichen reichshälfte als unterstützung für anthemius
in den Westen gelangten 37. Auch Ulrich Nonn hält es für wahrscheinlich, dass die oströmischen Subsidien
»über Anthemius (467-472) und Julius Nepos (474/475) an den Frankenkönig« lossen 38. Patrick Périn und
Michel kazanski haben auch für die cloisonnéarbeiten childerichs eine Vermittlung, eher sogar eine anfertigung in Italien vermutet 39.
es gibt derzeit aber keine Möglichkeit zu erkennen, auf welchem Weg die oströmischen objekte nach Tournai gelangten. Beide genannten Interpretationen haben dieselbe Wahrscheinlichkeit.
Wohl kaum ein römisches Produkt ist hingegen der Siegelring, auf dem sich childerich selbstbewusst wie
ein Kaiser auf einem Münzbild zeigt mit der Nennung CHILDIRICI REGIS. Der Ring verdeutlicht, wie selbstverständlich dem Heerführer die schriftliche kommunikation war, wie sehr er auch die Verbreitung seines
Bildes und seines Herrschaftstitels betrieb. Macht man sich aber bewusst, welchen aufschrei childerichs
Enkel Theudebert in Byzanz provozierte, indem er Münzen mit dem eigenen Konterfei und dem Zusatz DN
(dominus noster) prägen ließ, statt wie üblich das Kaiserbild zu verbreiten, so wird offenkundig, dass wohl
kein Kaiser einen solchen Siegelring für einen barbarischen König fertigen ließ.
Toth 2012, 284-288; 295 (Tabelle).
daim / Quast 2012, 315 f.
33 Böhme 1994. – So auch schon arrhenius 1985, 102.
34 Vgl. Beitrag Quast, Grabbeigaben in diesem Band.
35 Delbrueck 1929, 62. – Volbach 1976, 32 f. Nr. 8 Taf. 4, 8.
r.-alföldi / Stribrny 1998, 37-43. – James 1988, 75.
Périn / kazanski 1997, 180. – Fischer / Lind 2015, 14. 18 (mit
Lit.).
38 Nonn 2010, 109.
39 Périn / kazanski 1997, 179-182.
31
36
32
37
232
D. Quast · der Vater, ein fränkischer könig im Gallien des 5. Jahrhunderts
Insgesamt aber lassen die Beigaben kontakte zum römischen Hof deutlich erkennen. die wichtige rolle, die
dem fränkischen könig vonseiten der römischen Verwaltung bzw. des kaisers beigemessen wurde, kann
eigentlich nur darauf zurückzuführen sein, dass er nach der Lösung Aegidius’ von der Zentralregierung als
deren kandidat galt. er stellte das Gegengewicht zu den Westgoten in Gallien dar, denn in den Schriftquellen sind gerade seine militärischen aktionen gegen diese genannt 40. Bezeichnenderweise wurde sein Sohn
chlodwig gerade nach seinem Sieg über die Westgoten bei Vouillé vom oströmischen kaiser anastasius I.
(491-518) zum ehrenkonsul ernannt 41.
dennoch bleibt die Frage, welche Bedeutung der salfränkische kleinkönig für den kaiser (im Westen oder
osten) hatte 42. Für die archäologen ist es sicherlich eines der reichsten frühgeschichtlichen Gräber, doch
ohne kenntnis der Bestattung wäre childerich ein unbedeutender »warlord« geblieben. und letztlich macht
natürlich chlodwig durch die Bestattung seinen Vater zu dem, was er für die Frühmittelalterarchäologen zu
sein scheint. Wie bedeutend die ausrichtung dieser Bestattung für chlodwigs Machtübernahme ist, soll im
nächsten kapitel beschrieben werden. Hier soll nur noch ein kurzer Blick auf den reichtum der Beigaben
geworfen werden. Sie bestehen aus einer persönlichen ausstattung, die auf eine einmalige Verleihung
durch den kaiser bzw. seine Beamten erfolgte, und aus Teilen des königlichen Münzschatzes. So einmalig
er erscheint, es waren etwa 100 Solidi, also gut 455 g Gold, also nicht ganz eineinhalb römische Pfund.
Das war natürlich nur ein kleiner Teil des Königsschatzes! Interessant ist in diesem Zusammenhang aber
zu vergleichen, wie viel Ostrom an Jahrgeldern an die Barbaren an seiner Nordgrenze zahlte 43. attila kiss
hat diese Zahlen bereits 1986 zusammengestellt. Die Hunnen erhielten als mächtiger »Störfaktor« an der
donaugrenze im Jahr 430 von rom 350 römische Pfund (114,6 kg) Gold, im Jahr 435 wurde die Summe
verdoppelt auf 700 Pfund (229,2 kg) und im Jahr 443 auf dem Höhepunkt von attilas Macht auf 2100 Pfund
(687,6 kg) plus eine einmalige Zahlung von 6000 Pfund (1964,7 kg). Das Römische Reich war sich der Gefährlichkeit der Hunnen bewusst und zahlte deshalb diese enormen Summen. Nach dem Tode Attilas und
dem Zerfall seines Reiches nach der Schlacht am Nedao wurde jedem verbündeten barbarischen Königreich
jährlich 100 Pfund (32,7 kg) Gold gezahlt. Für konstantinopel waren das sicherlich »Peanuts«.
Die genannten Zahlen relativieren den Wert der Beigaben des Childerichgrabes im internationalen Vergleich
sicherlich, auch wenn – wie erwähnt – nur ein wohl geringer Teil des königsschatzes ins Grab gegeben
wurde. aber in Gallien ist es trotzdem die reichste Bestattung. Sie enthält 100-mal so viele Goldmünzen wie
andere reich ausgestatte Gräber und die Qualität der cloisonnéarbeiten ist einzigartig.
Werner 1983, 28. – ewig 1993, 16. – Wood 1994, 38 f. – James
1988, 64-72. – Wolfram 2001, 184 f. 188. – Frye 1992, 9.
41 Becher 2011, 236-239.
42 Für Périn / kazanski 1997, 180 ist die Prämisse, dass childerich
für den Kaiser im Osten »einer der Kriegsherren in Nordgallien
40
ohne spezielle Bedeutung« war, ein wichtiges argument für die
Interpretation, die objekte aus dem Grab in Tournai würden aus
Italien stammen.
43 Zusammenstellung der folgenden Zahlen bei Kiss 1986, 108 f.
abb. 1-2.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
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das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
235
dIeTer QuaST
chlODwIg – DIe cODeS Der macht
das Grab des fränkischen königs childerich ist so bekannt, dass es nicht nur von archäologen oft behandelt
wurde. auch in den Publikationen der Historiker zu den Merowingern wird ihm regelhaft ein kleines kapitel
gewidmet 1. Zumeist geht es – und das scheint naheliegend – um Informationen über childerich, die aus den
reichen Grabbeigaben abgeleitet werden können. dem wichtigsten akteur bei der Bestattung wird aber in
diesem kontext kaum Beachtung zuteil, nämlich seinem Sohn chlodwig 2. dieser inszenierte allerdings die
Grablegung und prägt damit letztlich das Bild von seinem Vater in starkem Maße, sowohl für die Teilnehmer
der Zeremonie als auch für heutige Wissenschaftler 3. diese Inszenierung soll daher im Folgenden etwas
näher rekonstruiert und beschrieben werden. es geht dabei um den Vorgang der Bestattung – nicht so sehr
um das Grab.
eINe krISeNSItuatION: Der köNIg ISt tOt!
die Bestattung childerichs erlaubt es in einmaliger Weise, archäologische Überlegungen zum Thema »Prunkgrab« – und um ein solches handelt es sich zweifellos – mit einer wenn auch in weiten Teilen unsicheren
schriftlichen Überlieferung zu kombinieren und zu konfrontieren. Prunkgräber treten nicht zu allen Zeiten
und überall auf 4. Sie sind temporäre erscheinungen, ausnahmen, und keine über mehrere Generationen
genutzten dynastischen Grablegen. In der Forschung hat sich seit Langem die einsicht durchgesetzt, dass
Prunkgräber in krisensituationen angelegt wurden, zumeist in randgebieten großer Herrschaftsräume 5.
dies trifft auch auf Tournai 481/482 zu 6. die historische Situation konkurrierender »warlords« wurde im
vorherigen kapitel kurz beschrieben 7. Man muss sich für die nachfolge childerichs aber auch im lokalen
umfeld eine krisensituation vorstellen. chlodwig war anscheinend ca. 16 Jahre alt, als sein Vater starb 8.
Wie auch immer die Nachfolge »ofiziell« geregelt war, sie war wohl keinesfalls gesichert 9. auch wenn
keinerlei schriftliche Hinweise vorliegen, so kann man sich zumindest vorstellen, dass es Begehrlichkeiten
einiger Militärführer childerichs gegeben hat. chlodwig, seine Mutter und seine Berater hatten jedenfalls
eine notwendigkeit erkannt, durch eine entsprechende »aktion« die Herrschaft zu sichern. und dazu inNur einige Beispiele: James 1988, 58-64. – Innes 2007, 270. –
nonn 2010, 110-113. – Becher 2009, 171 f.; 2011, 132-138.
2 die Bedeutung chlodwigs heben hervor Halsall 2001. – Jussen
2014, 39-44. – Sehr interessante, allerdings nur sehr kurze Überlegungen bei Theuws 2000, 11. – Für Werner 1992, 161 spielte
chlodwig anscheinend keine große rolle bei der Bestattung; »er
nahm sicherlich teil«, mehr aber nicht.
3 John Michael Wallace-Hadrill (1982, 163) hat treffend bemerkt,
dass der chlodwig, den wir kennen, in erster Linie der chlodwig Gregors von Tours sei, der womöglich mit der historischen
Persönlichkeit wenig zu tun habe. Parallel dazu ist anzumerken,
dass der childerich, den wir aus dem Grab rekonstruieren, der
childerich chlodwigs ist. – Vgl. auch Halsall 2001, 121.
1
4
5
6
7
8
9
kossack 1974. – Quast 2009a. – Vgl. auch die arbeit von Bergquist 2005, mit einer umfassenden Zusammenstellung und auswertung skandinavischer Befunde, die mit einem einführenden
kapitel zum childerichgrab beginnt.
kossack 1974, 25-33. – Gronenborn 2009.
Ich benutze hier weiterhin das datum 481/482, bin mir aber
der einwände von Halsall (2001) bewusst. die erneute analyse
der Solidi (Fischer / Lind 2015, 20) unterstützt ausdrücklich eine
Grablegung in den frühen 480er Jahren.
Vgl. Beitrag Quast, Vater in diesem Band.
Zur chronologie vgl. Beitrag Hardt in diesem Band (mit weiterer
Lit.).
Schneider 1972, 69. – Becher 2011, 144. 151. – Berndt 2012,
176 f.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
237
szenierte er die Bestattung seines Vaters in beeindruckender Weise 10. Zwar können wir die genaue choreographie nicht mehr rekonstruieren, doch mehrere Bestandteile sind zu erschließen, und sie bieten ein
imposantes Bild.
»the twO faceS Of kINg chIlDerIc«
Bereits 2002 hat Stéphane Lébecq unter diesem Titel eine Studie publiziert, in der er auf die unterschiedlichen Funktionen childerichs hinweist, die sich u. a. auch in den Grabbeigaben spiegeln 11. Gerade in der
deutschsprachigen Literatur war die Bestattung immer wieder als germanisches königsgrab beschrieben
worden, obwohl enge Beziehungen zum Römischen Reich durch die Zwiebelknopfibel und die Solidi erkannt worden waren. als Heiko Steuer die Bestattung aber als das Grab eines römischen Generals bezeichnete, war das explizit keines kommentares würdig 12. es geht letztlich um die Frage der ethnischen Interpretation archäologischer Funde. und gerade die Waffengräber – speziell jene mit Schwert – wurden gerne mit
germanischen einwanderern in Verbindung gebracht 13. In den letzten Jahrzehnten wurden aber verstärkt
auch andere Interpretationen publiziert, etwa von charles richard Whittaker, der die Waffengräber frei von
ethnischen Zuweisungen als typische erscheinung von Grenzregionen beschrieb 14. auch Guy Halsall sieht
keine Möglichkeit bzw. notwendigkeit dazu, die beigabenführenden Gräber Zuwanderern zuzuordnen.
es seien Bestattungen der lokalen eliten, die in den unruhigen Zeiten die Grablegung als Form der Statusbekundung gewählt hätten 15. Frans Theuws und Monica alkemade erkennen in den Waffen schließlich
nicht einmal mehr eine militärische komponente. Sie seien in die Gräber von Gutsbesitzern gelegt worden,
um symbolisch deren schützende Funktion darzustellen 16. als ergebnis einer kulturellen neuorientierung
statt einer germanischen einwanderung hat Hubert Fehr schließlich reihengräber und Beigabensitte im
frühmittelalterlichen Gallien beschrieben 17. die diskussion kann mit dem childerichgrab nicht gewinnbringend weiterverfolgt werden, denn als Prunkgrab steht es ohnehin jenseits aller regelhaftigkeit. childerich
stammt zwar aus einer Familie mit Migrationshintergrund, doch war diese seit Generationen in Gallien
ansässig. die »zwei Gesichter« childerichs sind zunächst einmal ein ergebnis der von seinem nachfolger
inszenierten Beisetzung 18. Für chlodwig war es wichtig, ein bestimmtes Bild seines Vaters während der
Feierlichkeiten der Bestattung zu memorieren und zu vermitteln. die interessante Frage ist also eigentlich,
welche Botschaften chlodwig mit seiner Inszenierung (und Beigabenauswahl) aussenden wollte.
Vgl. dick 2014, 375. 377 bezeichnet das Begräbnis als »Bewerbung chlodwigs um die nachfolge«. die Bestattung ist aber
eher der Beweis für eine bereits erfolgreich angetretene nachfolge. Vgl. Halsall 2001, 129. – Zur Bedeutung der Herrscherbestattung für die Legitimation des nachfolgers vgl. allg. rader
2003. – Vgl. auch künzl 2011.
11 Lebecq 2002 (mit weiterer Lit.). – nonn 2010, 113.
12 Steuer 1990, 45. – Werner 1992, 147 anm. 4.
10
238
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
13
14
15
16
17
18
z. B. Schulze-dörrlamm 1985, 549-561. – Böhme 1998; 2009,
46-54.
Whittaker 1994, 232-240.
Halsall 1992, 203. 207; 2009, bes. 273-277.
Theuws / alkemade 2000, 454-461. – Theuws 2009.
Fehr 2010, 681-768 bes. 750-768. – Vgl. auch von rummel
2013.
kritisch zur Frage, ob überhaupt ein barbarisches element im
Grab erkennbar sei: von rummel 2007, 368-375.
BeIgaBeN uND BOtSchafteN I: DaS BIlD vON chIlDerIch
Prunkgräber sind für archäologen nicht nur eine ansammlung reicher Funde. Sie lassen vielmehr rückschlüsse auf das Bestattungsritual zu. es waren Inszenierungen, die der nachfolger zur eigenen Legitimation
benutzte. als Theateraufführungen mit akteuren und einem Publikum wurden sie bereits vor über zehn
Jahren beschrieben 19. chlodwig demonstrierte in dieser krisensituation einer anscheinend doch unsicheren
nachfolge durch die prunkvolle Bestattung seines Vaters seine herrschaftlichen ansprüche. diese art der
darstellung benötigte selbstverständlich ein Publikum, das anspruch und Bedeutungsrahmen verstand 20.
ohne das Zusammenspiel dieser beiden Gruppen konnte die »aufführung« ihre gewünschte Wirkung nicht
entfalten, ja sogar vollkommen verfehlen. es handelt sich somit bei der öffentlich inszenierten Bestattung
um ein ritual 21.
es gibt keine Quellen, die die Teilnehmer an dieser Beisetzung nennen, und man kann nur vermuten, dass
einige »Große« aus dem näheren umfeld dabei waren. unbekannt ist, ob (und wenn ja, wie) der Tod childerichs vor der Bestattung über die Grenzen seines Herrschaftsraumes hinaus kommuniziert wurde. es ist
aber eher unwahrscheinlich, dass das geschah. Zum einen war es eine krisensituation, zum anderen ist von
einem »Großen« bekannt, dass er nicht an der Feier teilnahm: remigius, der Bischof von reims 22. er sandte
ein Glückwunschschreiben an den jungen könig, das mit den Worten beginnt »rumor ad nos magnum pervenit« (»uns hat ein bemerkenswertes Gerücht erreicht« / »es ist zu uns die laute kunde gelangt«) 23. nur
unpersönlich sind Gruppen des Publikums zu benennen: neue eliten (Militärführer), alte eliten (Bischöfe, alte
Familien), childerichs krieger und die Stadtbevölkerung von Tournai.
Bei dem Versuch, die Bestattungsfeierlichkeiten zu rekonstruieren, muss man sich bewusst sein, dass ein
Großteil dieser Handlungen keinen archäologischen niederschlag hinterlassen hat 24. die Beschreibungen
über attilas Beisetzung († 453) in der Getica des Jordanes geben einen eindruck von den Feierlichkeiten,
die gleich nach der Aufindung des Toten beginnen 25: »da schnitten sie sich, wie es bei jenem Volk Sitte
ist, einen Teil des Haupthaares ab und entstellten ihr abscheuliches Gesicht durch klaffende Wunden, damit
der große kriegsheld nicht mit weibischen klagen und Tränen, sondern mit Männerblut betrauert werde.
[…] Wie sein Leichnam von seinem Volk geehrt wurde, davon wollen wir nun einiges hervorheben. Mitten auf dem Felde unter seidenen Zelten wurden seine sterblichen reste aufgebahrt. dann führten sie ein
wunderbares feierliches Schauspiel auf. die besten reiter aus dem ganzen Hunnenvolk ritten um den Platz
herum, wo er lag, wie bei Zirkusspielen, und verherrlichten seine Taten in Leichengesängen. […] nachdem
sie ihn mit solchen klageliedern betrauert, feierten sie ihm auf seinem Grabhügel eine ›strava‹, wie sie es
nennen, mit unermesslichem Trinkgelage, und indem sie Gegensätze miteinander verbanden, vermischten
sie die Todesklage mit Äußerungen der Freude. dann übergaben sie in der Stille der nacht den Leichnam der
erde. Seinen ersten Sarg hatten sie aus Gold, den zweiten aus Silber, den dritten aus eisen gefertigt; damit
zeigten sie, dass alles dies dem mächtigen könig zukomme: das eisen, weil er die Völker bezwang, Gold und
Silber, weil er die Zierden beider reiche erhalten habe; dazu legten sie durch Feindes Tod erbeutete Waffen,
kostbaren Pferdeschmuck, strahlend von edelsteinen aller art, und mancherlei ehrenzeichen, mit denen der
Glanz des Hofes geziert wird. und damit menschliche neugier von so vielen großen reichtümern ferngehalten werde, töteten sie – ein schrecklicher Lohn! – die mit der arbeit Beauftragten nach vollbrachtem Werk«.
Halsall 2001, 122; 2003, 61 (mit älterer Lit.).
Vgl. auch dick 2014, 380 anm. 58 zu den »Spielregeln« gentilen kriegertums.
21 Vgl. althoff / Stollberg-rilinger 2008, 15 f. – Grundsätzlich zum
Thema rituale vgl. Bell 1997. – ambos u. a. 2005.
19
20
anders Fischer / Lind 2015, 10, die eine illustre Teilnehmergruppe vermuten.
23 remigius epistola. Übersetzungen nach kat. Mainz 1980, 245 f.
nr. 389 bzw. Becher 2011, 153.
24 der folgende abschnitt stammt aus Quast 2009b, 373.
25 Jordanes, Getica 44, 254-258.
22
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
239
es wird sich bei diesen Textquellen kaum um objektive Beschreibungen handeln, zumal Jordanes nicht bei
der Bestattung zugegen war. eines wird aber ganz offenkundig: welche Bedeutung die Feierlichkeiten hatten, die archäologisch niemals nachzuweisen sein werden.
Was lässt sich für die Bestattung childerichs rekonstruieren? oben im kapitel zum Grabbau wurde herausgestellt, dass childerich höchstwahrscheinlich nicht in einer großen Grabkammer beigesetzt wurde. das
bedeutet, er muss außerhalb des Grabes aufgebahrt gewesen sein, damit das Publikum ihn sehen konnte.
nur so konnten chlodwigs »Botschaften« an die empfänger gelangen. der anblick, der sich den Teilnehmern der Bestattungsfeierlichkeiten bot, war sicher beeindruckend. der Tote lag in seinem ornat, zu dem
kleidung, Waffen und Insignien gehörten, auf der »Bahre«, die vermutlich in seinem »Herrschaftssitz« in
Tournai stand. Zusätzlich waren ein Münzschatz und ein wertvolles, altes Gefäß aus achat neben childerich deponiert worden. Man kann sich gut vorstellen, dass es eine rede gab, in der das Leben des Toten
rekapituliert wurde. dabei konnten auch die Beigaben effektvoll thematisiert werden. Sie stellen ja auch
»Stationen« aus dem Leben childerichs dar. einige der objekte waren für die Teilnehmer vermutlich mit bestimmten erinnerungen verankert. nach der aufbahrung wird der Transport zum Grab erfolgt sein. Zu den
Feierlichkeiten, die dort stattfanden, gehörte die Tötung von 21 Pferden – ein blutiges, archaisches ritual.
die Bedeutung, die der Schatz und die Pferde für den lebenden childerich (und auch für chlodwig) hatten, braucht vermutlich nicht extra herausgestellt zu werden. Zur Bewältigung der krisensituation wurden enorme Werte investiert. die darüber hinausgehende hohe symbolische komponente von Schatz und
Pferden wird deutlich, wenn man sich die kurze Beschreibung des Tagesablaufs eines spätantiken königs
betrachtet, den Sidonius in einem Brief an agricola beschreibt 26. demnach verbrachte der westgotische könig Theoderich II. am Morgen zunächst einige Zeit damit, Gesandtschaften zu empfangen, um dann einige
Stunden seinen Schatz und seine Stallungen zu besichtigen. Schatz und Stallungen waren zentrale Punkte
im Tagesablauf, und genau diese beiden elemente werden auch von chlodwig bei der Bestattungszeremonie betont.
doch zurück zu dem aufgebahrten Toten. oben wurde behauptet, childerich sei in seinem ornat, also
seiner amtstracht, die zu repräsentativen anlässen getragen wurde, bestattet worden. dies setzt voraus,
dass es für einen »warlord« des 5. Jahrhunderts einen solchen ornat überhaupt gegeben hat. Bevor hierfür
einige Indizien vorgestellt werden, sei eine Tatsache betont, die oft vernachlässigt wird bei der analyse von
(Prunk-)Gräbern. dem oder der Toten wurde ja keinesfalls deren gesamter Besitz beigegeben. childerich
verfügte als Militärführer sicherlich über eine Waffenkammer, und er kontrollierte vermutlich auch die Waffenproduktion in seinem Herrschaftsgebiet 27. Ganz sicher bestand auch seine persönliche Bewaffnung nicht
nur aus den Schwertern im Grab. deren cloisonnéarbeiten waren von so herausragender Qualität, dass die
Waffen für die Belastung im kampf zu fragil sind. kaum vorstellbar ist, dass childerich mit diesen Waffen in
die Schlacht zog. es wird sich dabei eher um »Prunkwaffen« handeln, die nur bei bestimmten ereignissen
zum einsatz kamen, wie etwa das edelsteinverzierte Schwert, das karl der Große bloß zu besonderen anlässen trug, wie einhard berichtet 28. der ohnehin schon vorhandene hohe Symbolgehalt der Waffen (und
der Waffenbeigabe) wird dadurch noch gesteigert 29. Insgesamt spielt ornat in Prunkgräbern eine wichtige
rolle. Jenseits des Limes zeigt sich bereits in den Gräbern der Gruppe Hassleben-Leuna-Gommern deutlich,
dass den Bestatteten eine alltagstaugliche ausrüstung mitgegeben war, allerdings zusätzlich oftmals auf-
26
27
Sidon. epist. 1, II. – Hardt 2004, 218. – Fischer / Lind 2015, 7.
Zur Waffenproduktion ist wenig bekannt. In der notitia dignitatum werden für reims »Spatharia« und für amiens »Spatharia
und scutaria« genannt (not. dign. occ. IX, 36. 39 = Seeck 1983,
146). ob sie weiter produzierten und childerich sie unter seiner
kontrolle hatte, ist unbekannt. Vgl. allg. Henrat 2006, 24.
240
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
28
29
einhardi Vita karoli Magni 23.
Gute Zusammenstellung zum Thema Symbolgehalt von Waffen
bei Sarti 2013, 232-249.
abb. 1
Beigaben aus dem Grab von Pouan (dép. aube / F). – (nach kat. Mannheim 2001, 74). – o. M.
wendig verzierte, aber fragil gearbeitete Gegenstände, die als ornat zu interpretieren sind. erwähnt sei hier
nur der blattgoldverzierte, breite Gürtel aus Gommern (Lkr. Jerichower Land / d), der mit drei Schnallen aus
Goldblech geschlossen wurde – kaum tauglich für ernsthafte Belastungen 30. er wurde separat in einer kiste
beigegeben. auch innerhalb des römischen reiches lässt sich Vergleichbares nachweisen: Im spätrömischen
Gräberfeld von Tongeren (prov. Limburg / B) Grab 99 wurde der Mantel zusammen mit der vergoldeten
Zwiebelknopfibel separat in einer Kiste neben dem Toten deponiert 31.
childerich hingegen war kein ornat zusätzlich beigegeben, er war darin gekleidet. und so war er wohl für
die Bewohner von Tournai und für seine krieger gleichermaßen kenntlich als wichtigster Mann der Provinz.
kaum zu übersehen ist aber die militärische komponente in der Grabausstattung, bestehend nicht nur aus
den prunkvoll verzierten Schwertern, sondern auch aus den kampftauglichen Waffen Franziska, Lanze und
den Schild. das ist eine klare Botschaft an die neuen eliten und an die versammelten krieger. chlodwig signalisiert damit ganz deutlich, dass er den erwartungen dieser Gruppen entspricht und sich als Teil von ihnen
sieht. und auch die wichtigen Statussymbole childerichs – goldener Fingerring und der massiv goldene
kolbenarmring – sind ein ganz klares »Bekenntnis« an diese Gruppen. Gerade dieser ringschmuck gehört
zu den wichtigsten Merkmalen sehr reicher Männergräber des 5. Jahrhunderts 32. das Grab aus Pouan (dép.
aube / F) ist entsprechend mit goldenem Hals-, Finger- und armring ausgestattet, ebenso mit reich verzierten Waffen (abb. 1) 33. Während diese Bestattung ungefähr zeitgleich mit derjenigen Childerichs ist, inden
sich goldene ringe als Statussymbole schon im Hortfund von Lengerich (Lkr. emsland / d) aus der Mitte des
4. Jahrhunderts, der ohnehin eine nahezu identische Zusammensetzung aufweist wie das childerichgrab
(abb. 2) 34.
Becker 2010, 83-88.
Vanvinckenroye 1984, Taf. 14.
32 Zuletzt (jeweils mit weiterer Lit.): von rummel 2007, 360-368. –
Quast 2013, 181-185.
30
33
31
34
Zuletzt kat. Mannheim 2001, 144-146 nr. 4.6 (mit älterer Lit.).
Quast 2009a, 132 f. – Schmauder 1999.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
241
1
Gefäß
Bewaffnung
lengerich
Zwiebelknopfibel Gold
2 kolbenarmringe Gold
4 Fingerringe Gold
18 (urspr. 1147)
mehrere
1 Solidus 4. Jh. (urspr. 10)
goldener Halsschmuck;
2 goldene tutulusförmige anhänger
Silberschale
–
kleidungszubehör
–
Fibel
armring
Fingerring
denare 2. Jh.
Siliquae 4. Jh.
Solidi
Halsschmuck
Tournai
Zwiebelknopfibel Gold
kolbenarmring Gold
1 Siegelring (Gold); 1 × glatt (Gold)
41 (urspr. > 200)
1 constantius II.
89 Solidi 5. Jh. (urspr. >100)
–
achatgefäß
Spatha und Sax (jeweils mit Gürtung),
Schild, axt, Lanze
zahlreiche Schnallen und Beschläge
abb. 2 Lengerich (Lkr. emsland / d): 1 erhaltene Goldfunde. – 2 tabellarische Gegenüberstellung der Funde aus Lengerich und dem
Childerichgrab. – (1 nach Schmauder 1999, 94 Abb. 3; 2 nach Quast 2009a, 133 Abb. 13, 3 [modiiziert]).
Von sehr großer Bedeutung war sicherlich das äußerst blutige ritual, das von chlodwig durch die Tötung von 21 Pferden im rahmen der Bestattungszeremonie vollzogen wurde 35. die Pferde – 13 Wallache,
5 Hengste und 3 Fohlen – waren durch Halsschnitt getötet worden. Man muss sich diese Handlungen nicht
nur äußerst blutig vorstellen. die Pferde waren sicherlich extrem unruhig und verängstigt, sodass mehrere
Männer dafür nötig waren, dieses »Schauspiel« durchzuführen, das in Gallien einzigartig war. die Tötung
von Pferden im rahmen von Bestattungen war im 5. Jahrhundert nicht unbekannt, wie eine bereits 30 Jahre
alte kartierung der Pferdegräber zeigt (abb. 3) 36. aber diese Gräber liegen östlich des rheins und auch im
Werner 1992, 156 sah in dem Pferdeopfer »kein politisches kalkül«. Hier wird es ganz klar als Botschaft an die Teilnehmer der
Bestattungsfeierlichkeiten gesehen.
36 oexle 1984, 133 abb. 6. – es gibt zwar mittlerweile mehrere
nachträge zu dieser karte, die u. a. eine leichte Verdichtung im
35
242
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
alamannischen Südwestdeutschland erkennen lassen (Schachdörges 2008, 702 abb. 1), die Gesamtaussage, nämlich dass in
Gallien Pferdegräber nicht vorkamen, hat sich aber nicht geändert.
2
1 Vorkommen
2-3 Vorkommen
4-5 Vorkommen
6-10 Vorkommen
1. Hälfte - Mitte 5. Jh.
Mitte 5. Jh. - um 500
2. Hälfte 5. Jh. - 1. Hälfte 6. Jh.
abb. 3
Pferdegräber des 5. und frühen 6. Jhs. – (nach oexle 1984, 133 abb. 6).
mittleren donauraum. In der regel handelt es sich dabei um ein Pferd; mehrere (aber keinesfalls 21) sind selten nachzuweisen. aus Großörner (Lkr. Mansfeld-Südharz / d) beispielsweise ist ein kindergrab bekannt, das
aufgrund des goldenen kolbenarmrings zu einer der gesellschaftlich herausgehobenen Familien gehörte.
direkt neben diesem Grab lagen zwei Grabgruben mit drei Pferden und zwei Hunden 37. ebenfalls in das 5.
Jahrhundert, allerdings wohl früher als das childerichgrab datiert das kammergrab 1 unter dem Großgrabhügel Žuráň (okr. Brno-venkov / CZ). Zugehörig waren die Reste von fünf oder sechs Pferden 38. es gibt einige
weitere, jüngere Befunde 39, die zwar noch einmal den gesellschaftlichen kontext verdeutlichen, in denen
mehrere Pferde im rahmen von Bestattungsfeierlichkeiten getötet wurden, die aber bei der Beurteilung des
childerichgrabes nicht weiterhelfen, denn es soll hier um die adressaten der Botschaft gehen, die chlodwig
mit dieser Handlung erreichen wollte. und bezüglich dieser Frage ist die Verbreitungskarte eindeutig. es
müssen Menschen aus dem raum östlich des rheins gewesen sein. Man ist gewillt, aufgrund des in den
37
38
Schmidt 1975, 75-80 abb. 23 Taf. 177 (Grab 19).
Müller-Wille 1998, 23 abb. 11 (mit älterer Lit.).
39
Werner 1992, 156-160. – Müller-Wille 1998, 15-23.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
243
Schriftquellen genannten achtjährigen exils childerichs und seiner thüringischen Frau Basina an krieger aus
dem Thüringerreich zu denken 40. doch ist das aus der karte allein nicht abzulesen, und auch die ausdehnung bzw. die genaue Lage des Thüringerreiches und des aufenthaltsortes childerichs dort ist unbekannt 41.
durchaus wahrscheinlich ist aber, dass childerich bei seiner rückkehr von einer schlagkräftigen Truppe
begleitet wurde. darüber hinaus war Gallien mit seinen unterschiedlichen Herrschaftsbereichen wohl auch
ein anziehungspunkt für Söldner aus benachbarten und auch entfernteren regionen. diese kriegergruppen
aus dem raum östlich des rheins spricht chlodwig an – sie verstanden den Inhalt der Botschaft, wenngleich
die enorme Zahl der Pferde auch für sie einmalig gewesen sein dürfte. Für alle anderen Teilnehmer der Bestattungsfeierlichkeiten war es ein blutiges, archaisches, vermutlich auch verstörendes ritual.
Sollte das Grab childerichs mit einem Hügel überdeckt worden sein, so wäre dies ebenfalls befremdlich für
die »alten« eliten, die in Sarkophagen innerhalb der kirchen beigesetzt wurden 42.
es gibt aber auch Beigaben im Grab childerichs, die ganz deutlich als Botschaften an die »alten« eliten,
eventuell auch an die Bevölkerung Tournais zu verstehen sind. Wie bereits oben erwähnt, wird man den
ornat inklusive der Waffen des königs hier anführen müssen. childerich war schließlich kein »eroberer«,
sondern er hatte mit seinen Truppen nach Gallien einfallende Gruppen erfolgreich abgewehrt 43. Bedeutend
für diese Gruppen waren auch die Insignien, wie der Siegelring, das Zepter, das paludamentum mit goldener Zwiebelknopfibel und die Solidi. Diese Objekte hatten einen klaren Bezug zur römischen Welt. Auch
wenn Gallien im 5. Jahrhundert von den kaisern bereits aufgegeben worden war, so waren die Symbole der
Macht offenbar noch bekannt und hatten ihre Wirkung nicht verloren 44. Zumindest scheinen sie eine gewisse kontinuität zu spiegeln, dem Träger auch eine Legitimation zu geben. chlodwig vermittelt damit, dass
sein Vater (und er) keine fremden eindringlinge waren, sondern ein wichtiger, legitimer Teil der Verwaltung
und des Heeres. Svante Fischer und Lennart Lind haben kürzlich noch einmal die Zusammensetzung des
Solidi-Schatzes untersucht. Ihrer Meinung nach wurde er »manipuliert«, denn es wurden nur Prägungen
legitimer kaiser beigegeben, bereinigt von solchen illegitimer weströmischer Imperatoren 45.
BeIgaBeN uND BOtSchafteN II: DIe legItImatION chlODwIgS
Selbstverständlich diente die gesamte Bestattung der Legitimation chlodwigs. alle Beigaben waren für die
Teilnehmer der Feierlichkeiten als Botschaften zu lesen, mit denen der nachfolger das Bild und die erinnerung an seinen Vorgänger prägte. es gibt einige Beigaben, mit denen chlodwig auch ganz klar seinen
Herrschaftsanspruch unterstrich. Zwei objektgruppen sind anzuführen: die Teile des königsschatzes und die
Symbolik der auf dem Schwertgurt angebrachten igürlichen Applikationen.
Teile des königsschatzes sind im Grab durch den Münzschatz und das achatgefäß vertreten 46. Zwar wird
in der Literatur bei der Bearbeitung der Münzen immer wieder betont, dass es sich nicht um einen lang
angesammelten Schatz handeln könne, da die »Familie« childerichs keine lange Tradition habe 47. diese
aussage betrifft aber nur die akkumulation des Schatzes. dass ein Schatz vorhanden war, steht außer Frage,
wie auch immer childerich ihn erworben und erweitert hatte. der Thesaurus war das entscheidende Herr-
Vgl. kritisch zum exil in Thüringen Halsall 2001, 124 f.
Halsall 2001, 125. 127. – Grahn-Hoek 2001; 2002, 89. – Becher
2011, 108 f.
42 Dąbrowska 1989. – Heinzelmann 1976, 61-73.
43 Jussen 2007, 150-153; 2014, 28-31.
Vgl. dick 2014, 376.
Fischer / Lind 2015, 29 f.
46 Zu den unterschiedlichen aspekten des königsschatzes vgl. das
Standardwerk von Hardt 2004. – Jetzt auch Pangerl 2013.
47 r.-alföldi / Stribrny 1998, 42. – Fischer / Lind 2015, 28.
40
44
41
45
244
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
schaftsinstrument im Frühmittelalter 48. chlodwig wusste zweifellos darum, und bezeichnenderweise sind
von Gregor von Tours zwei Szenen überliefert, in denen chlodwig andere fränkische Teilkönige ausschaltet,
um deren »regnum cum thesauris« unter seine Herrschaft zu bringen 49. Regnum und thesaurus sind untrennbar miteinander verbunden. chlodwig sendet mit der Beigabe eines Teiles des königsschatzes die ganz
deutliche Botschaft aus – »ich verfüge über den Thesaurus!« (was das regnum miteinbezieht). die Insignien
seines Vaters waren anscheinend so stark personengebunden, dass chlodwig sie childerich mit ins Grab
legte. auch das markiert deutlich ein ende und den Beginn eines neuen Herrschers.
Von großer Bedeutung waren die igürlichen Applikationen am Schwertgurt. Der Symbolgehalt für die
Teilnehmer der Bestattung ist heute kaum noch zu rekonstruieren; allenfalls oberlächliche Aussagen sind
ohne schriftliche Überlieferung zu treffen. Bei dem Stierkopf liegt es nahe, an den bei Fredegar (Chron. III, 9)
genannten Quinotaurus zu denken, ein stierköpiges Meeresungeheuer, das von ihm als Erzeuger Merowechs überliefert wurde. Bei Gregor von Tours hingegen ist diese Herleitung der fränkischen könige nicht
erwähnt. In der lange Zeit geführten diskussion um ein germanisches Sakralkönigtum spielte diese Textstelle
eine rolle. alexander Murray sieht aber hierin eher eine Verunglimpfung der Merowinger durch den »antiköniglichen« chronisten 50. das Meeresungeheuer wird von Murray als etymologisierende deutung des
namens Merowech als »Meeresvieh« interpretiert 51.
ein fränkisches Sakralkönigtum – für dessen nachweis auch immer die langen Haare der reges criniti angeführt wurden – lässt sich keinesfalls belegen 52. Für die langen Haare hat Philipp von rummel betont, dass
sie »der üblichen äußeren erscheinung eines hochrangigen Soldaten« des 5. Jahrhunderts entsprachen und
beispielsweise childerich auf seinem Siegelbild als Feldherr dargestellt sei 53. aber der Stierkopf und die
Bienen hatten sicherlich eine große symbolische Bedeutung für chlodwig und auch schon für childerich.
Die mit diesen igürlichen Applikationen verknüpften Inhalte sind heute nicht mehr sicher aufzulösen. Ihre
Verwendung war aber bestimmt mit einem Symbolgehalt verbunden, der für die »Gruppe« identitätsstiftend war 54. Über den reinen Zusammenhalt der kriegergruppe durch militärischen erfolg hinaus wurde hier
anscheinend ein »ideologischer Überbau« geschaffen. dies hat nichts mit einem sakralen königtum zu tun,
genauso wenig, wie der amtseid – geschworen auf die Bibel – oder der aufdruck »In God We Trust« auf
den Banknoten den amerikanischen Präsidenten etwas Sakrales verleiht. auf einen solchen ideologischen
Überbau ist jede langfristige konsolidierung von Macht angewiesen, wie Michael Mann herausgestellt hat 55.
In den Schriftquellen spiegelt sicherlich die jeweilige origio gentes diesen Überbau 56, im archäologischen
Befund bieten meiner Meinung nach die igürlichen Applikationen einen Ansatz.
das archäologische Material erlaubt zwar nicht, die inhaltliche Bedeutung von Bienen und Stierkopf zu
dechiffrieren, aber die Tatsache, dass beide »Symbole« in den folgenden Jahrzehnten im Merowingerreich
immer wieder auftauchen, zeigt, dass ihr Sinngehalt bekannt war 57. Von besonderer Bedeutung ist eine
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53
54
In den Schriftquellen ist für die Zeit vor chlodwig kein Thesaurus genannt, was aber nicht bedeutet, dass es keinen gegeben
hat. Pangerl 2013, 89 f. 106-108 zum childerichgrab.
Gregor von Tours, Historiae II, 40, 90 f. und II, 41, 92. – Hardt
2004, 18 f.
Murray 1998. – Plassmann 2006, 155-166.
Murray 1998, 142. – Plassmann 2006, 157. – Felder 2003, 262
hält die Verbindung des namenselementes Mer- mit Meer aus
sprachwissenschaftlichen Gründen für unmöglich.
Picard 1991. – Diesenberger 2003. – Becher 2009, 164-166. –
Vgl. erkens 2006, 102-109. – Zu den Haaren jetzt allg. ashby
2014, 172-179.
von rummel 2007, 265-268 bes. 267.
die von den Historikern geäußerte kritik (Wallace-Hadrill 1982,
220 f.; Fried 2004, 272 f.; Plassmann 2006, 157), dass die
Schriftquellen keinerlei Hinweise auf einen »Stierkult« geben,
ist insoweit zu vernachlässigen, da die Schriftquellen für das
Frühmittelalter insgesamt ein unvollständiges Bild liefern. die
Symbole »Stier« und »Biene« liegen im childerichgrab vor und
sind auch in den Generationen nach childerich verbreitet (s. u.).
Sie müssen entsprechend interpretiert werden.
55 Mann 1994, 40-49. – Münkler 2005, 79-82.
56 Plassmann 2014, 368-370.
57 alternativ zu Fredegars Quinotaurus sieht arrhenius 1997, 65
im Stierkopf einen apisstier und verweist auf ammianus Marcellinus (XVI, 12, 25), der auf den alamannischen könig chlodomachus hinweist, der dem Isiskult anhing und seinem Sohn
den namen Sarapis gegeben hatte. – Vgl. Geuenich 1997, 42 f.
mit korrekturen (es geht um chnodomars Bruder Mederich und
dessen Sohn Serapio).
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
245
1
2
abb. 4 Gürtelgarnitur aus dem Grab der fränkischen königin arnegunde. die blauen kreise markieren die Stierköpfe. –
(nach Fleury / France-Lanord 1998, II-138). – M. 1:1.
Stierkopfdarstellung auf der Gürtelgarnitur aus dem Grab der fränkischen königin arnegunde (abb. 4) 58.
aber auch kleine stierförmige Fibeln sind aus arcy-Sainte-restitue Grab 2085 (dép. aisne / F; abb. 5, 1) und
Verly (dép. aisne / F; abb. 5, 2) bekannt 59. In Cloisonné ausgeführt indet sich ein schematisierter Stierkopf
auf den riemenzungen und auf einem anhänger aus dem Frauengrab unter dem kölner dom (abb. 5, 3),
dort übrigens kombiniert mit insektenförmigen anhängern 60. Stierdarstellungen waren in der Spätantike
weitverbreitet und sind auch als Ziermotiv auf mediterranen Gürtelschnallen belegt (abb. 5, 4) 61. es ist für
die Beurteilung des Stierkopfes aus dem childerichgrab aber zweitrangig, ob und gegebenenfalls woher
das Motiv übernommen worden war. entscheidend ist seine exponierte Zurschaustellung und »nutzung«.
Fleury / France-Lanord 1998, II-139; II-146 f. erkennen auch im
cloisonnée der Schnalle aus Saint-denis Grab 36 einen Stierkopf. Für Verf. ist das nicht nachvollziehbar. – Périn u. a. 2012,
104 abb. 71; 110 abb. 79, 1.
59 Moreau 1877-1898, Taf. k. – von Jenny 1940, Taf. 58 (beide
exemplare abgebildet). – Fleury 1878, 175 abb. 265. – Werner
1961, 62.
58
246
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
doppelfeld 1960, Taf. 17, 13n. – Zuletzt ristow 2012, 81. – arrhenius 1985, 165 abb. 201.
61 Einige Beispiele (und Hinweise auf kaiserzeitliche Stieriguren
aus dem Barbaricum): Quast 2003, 603 f. abb. 7. – Zur mediterranen Gürtelschnalle mit Stierkopf vgl. jetzt kat. München
2010, 176 abb. 53 (mit zu später datierung; vgl. zur chronologie Quast 1996, 532 f.).
60
Bienen sind häuiger vertreten im Kleinfundbestand.
Neben den genannten Exemplaren indet sich auch
auf zwei nahezu identischen cloisonnierten Gürtelschnallen aus Molain (dép. Somme / F; abb. 6, 3)
und Le Sart (dép. aisne / F; abb. 6, 2) eine Biene
dargestellt 62. Beide Schnallen sind nur wenig jünger als das childerichgrab 63. Von Interesse ist ein
Schwertgriff aus cumberland / GB (abb. 6, 1), der
neben einigen iligran verzierten Goldblechen auch
ein cloisonniertes dekor in Form eines stilisierten Insekts aufweist 64. ebenfalls als Zierrat einer Spatha
indet sich ein Insekt auf einer kerbschnittverzierten
Schwertgurtgarnitur aus verzinnter Bronze aus Sablonnière (dép. aisne / F; abb. 6, 4-5), die allerdings
schon in das 7. Jahrhundert datiert. Sowohl auf dem
Schnallenbeschlag als auch auf dem Gegenbeschlag
sind die Tiere zentral angebracht und deutlich zu erkennen 65. Auch auf Filigranscheibenibeln kommen
cloisonnierte, insektenförmige applikationen vor 66.
dafydd kidd hat weitere cloisonnéarbeiten mit Insektendarstellung zusammengestellt, die die weite
Verbreitung des Motivs verdeutlichen 67. Genannt
seien hier lediglich die riemenzungen aus dem Frauengrab unter dem kölner dom 68.
In einiger Zahl sind insektenförmige Fibeln bekannt,
von denen einige Zikaden darstellen, andere Bienen.
Inwieweit hier eine missverstandene Motivübernahme vorliegt – die Zikaden sind eindeutig älter
und zumeist aus dem karpatenbecken bekannt –,
ist unklar 69. die Zikadenform gelangte im 5. Jahrhundert bis nach Süddeutschland und Gallien, wie
ein altbekanntes exemplar aus Beaurepaire (dép.
Isère / F) zeigt (abb. 7, 1) 70. die nahezu identische
Gestaltung der Fibelpaare aus altenerding (Lkr.
erding / d) Grab 26 (abb. 7, 11-12) und BarbingIrlmauth Grab 32 (Lkr. regensburg / d; abb. 7,
9-10) lässt an eine lokale Produktion denken, zumal
auch die kleinen Zikaden aus Bittenbrunn Grab 37
62
63
64
65
66
Barrière-Flavy 1901, Taf. a5, 6. – Babelon 1919-1923, 76
abb. 10. – Boulanger 1902-1905, Taf. 25, 2.
Quast 1996, 532 f.
Salin 1904, 167 abb. 273. – Behmer 1939, Taf. 2, 3.
Moreau 1877-1898, Taf. 21 nelle Série, 1.
kühn 1941-1942, 274-276. – Thieme 1978, 399 f. 402 abb. 1,
37-49; 2, 10-15 karte 12.
1
2
3b
3a
4
abb. 5 Stierdarstellungen auf merowingischen kleinfunden des
6. Jhs.: 1 Fibelpaar aus arcy-Sainte-restitue (dép. aisne / F) Grab
2085. – 2 Fibel aus Verly (dép. aisne / F). – 3 anhänger aus dem
Frauengrab unter dem kölner dom. – 4 Gürtelschnalle, Fundort unbekannt, östliches Mittelmeergebiet. – (1 nach von Jenny 1940, Taf.
58; 2 nach Fleury 1878, 5 abb. 265; 3a nach doppelfeld / Pirling
1966, 23; 3b nach arrhenius 1985, 165 abb. 201 mit farblicher
Hervorhebung; 4 nach kat. München 2010, 176 abb. 53). – 1-2
M. vermutlich 1:1; 3 M. 2:1; 4 M. 1:1.
kidd 1988.
doppelfeld 1960, Taf. 21, 22a-b. – Werner 1963. – von carnapBornheim 1996.
69 Vgl. kazanski / Périn 2000. – escher 2005, 246-248 (mit älterer
Lit.).
70 de Baye 1893. – kazanski / Périn 2000. – escher 2005, 246-248.
67
68
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
247
1
abb. 6 Insektendarstellungen (Zikaden
oder Bienen): 1 Schwertgriff aus cumberland / GB. – 2 Gürtelschnalle aus Le Sart
(dép. aisne / F). – 3 Gürtelschnalle aus
Molain (dép. Somme / F). – 4-5 Schnalle
und Gegenbeschlag vom Schwertgurt aus
Sablonnière (dép. aisne / F). – (1 nach Salin
1904, 167 abb. 273; 2 nach Boulanger
1902-1905, Taf. 25, 2; 3 nach Barrière-Flavy
1901, Taf. a5, 6; 4-5 nach Moreau 18771898, Taf. 21 nelle Série, 1). – 1 M. unbekannt; 2-5 M. 1:1.
2
4
3
5
(Lkr. Neuburg-Schrobenhausen / D; abb. 7, 13-14) eng verwandt sind und alle drei Fundorte aus einem relativ eng begrenzten raum stammen 71. Eindeutig bienenförmige Kleinibeln als Vergleiche für die Applikationen aus dem childerichgrab (abb. 7, 1) sind aus alem (prov. Gelderland / nL; abb. 7, 3), namur (B) (abb. 7,
5), Weimar (d) Grab 56 (abb. 7, 4), niedernai Grab 33 (dép. Bas-rhin / F; abb. 7, 6) und aldingen Grab
18 (Lkr. Ludwigsburg / d) bekannt (abb. 7, 7-8) 72. aus dem südalpinen raum liegt ein »dreidimensionachristlein 1967/1968, 91 abb. 4, 5-6. – koch 1968, Taf. 83, 1617. – Sage 1984, Taf. 197, 18-19.
72 alem: Willemsen 2014, 59 abb. 74. – namur: de Loë 1939,
56 f. nr. 19a; kazanski / Périn 2000, 25 abb. 6, 3. – Weimar:
71
248
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
Schmidt 1970, 84 Taf. 90, 1a; kat. Sankt Petersburg 2007, 386
abb. V.3.4.1. – niedernai: Schnitzler 1997, 116 abb. 9, 2. – aldingen: Schach-dörges 2004, 33 f. abb. 47, 1-2; 53, 1-2.
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2
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8
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11
12
13
14
abb. 7 Bienenapplikationen aus dem childerichgrab (1) sowie Zikaden- und Bienenibeln (2-12): 1 Tournai (prov. Hainaut / B), childerichgrab. – 2 Beaurepaire (dép. Isère / F). – 3 alem (prov. Gelderland / nL). – 4 Weimar / d Grab 56. – 5 namur / B. – 6 niedernai (dép.
Bas-rhin / F) Grab 33. – 7-8 aldingen (Lkr. Ludwigsburg / d) Grab 18. – 9-10 Barbing-Irlmauth (Lkr. regensburg / d) Grab 32. – 11-12 altenerding (Lkr. erding / d) Grab 26. – 13-14 Bittenbrunn (Lkr. Neuburg-Schrobenhausen / D) Grab 37. – (1 nach Kat. Mannheim 2001, 173
abb. 4.16.4.2; 2 nach de Baye 1893, Taf. 1, 5; 3 nach Willemsen 2014, 59 abb. 74; 4 nach kat. Moskau 2007, 386 nr. V.3.4.1; 5 nach de
Loë 1939, 57 abb. 40; 6 nach Schnitzler 1997, 116 abb. 9, 2; 7-8 nach Schach-dörges 2004, 107 abb. 47, 1-2; 9-10 nach koch 1968,
Taf. 83, 16-17; 11-12 nach Sage 1984, Taf. 197, 18-19; 13-14 nach christlein 1967/1968, 91 abb. 4, 5-6). – M. 1:1.
les« exemplar aus dem Schatzfund von domagnano (rep. San
Marino; abb. 8) vor 73. auch bei diesen Fibeln ist die deutung
unklar 74. Hervorzuheben ist aber, dass es sich bei den Insekten
und den Stierkopfdarstellungen um zwei Motive der insgesamt
sehr eingeschränkten igürlichen Darstellungen des späten 5.
und 6. Jahrhunderts aus dem reihengräberkreis handelt. Ganz
gleich, woher sie kamen und mit welchen Inhalten sie letztlich
aufgeladen waren, childerich hatte sie an markanter Stelle in
sein »ornat« übernommen und deren Symbolgehalt mit der
eigenen Person verknüpft. diese Verknüpfung demonstrierte
auch chlodwig noch einmal ganz deutlich bei der Bestattung,
und er übertrug sie, als nachfolger seines Vaters, auf sich selbst.
kat. Mailand 1994, 202 nr. III.27j abb. III.74j; III.81. – nawroth
2000, 95.
74 Vergil hat das gesamte 4. Buch seiner Georgica der Bienenkunde gewidmet, mit vielen Hinweisen auch zur symbolischen
Bedeutung. – Vgl. Werner 1971, 45. – Moser 1977, 33 f. – Zur
73
1
2
abb. 8 Bienenibel aus Domagnano (Rep. San Marino). – (nach kat. Mailand 1994, 196 abb. III.74j;
201 abb. III.81). – L. 3,5 cm.
symbolischen Bedeutung im christentum Hünemörder 1983,
134 f. – Vgl. allg. das weite Spektrum der Interpretationen, weit
über die antike und das frühe Mittelalter hinaus, bei Tavoillot / Tavoillot 2015.
das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
249
rItuale Der macht – »the twO faceS Of kINg chlODwIg«
chlodwig hat die Bestattung seines Vaters erfolgreich inszeniert und seinen eigenen anspruch auf die
Herrschaft durchgesetzt. Gerd althoff, der sich intensiv mit ritualen der Macht und mit Spielregeln in
mittelalterlicher Öffentlichkeit beschäftigt hat, sieht in »demonstration und Inszenierung bestimmter Sachverhalte eine vorrangige Form der Veröffentlichung von entscheidungen im Mittelalter« und nicht in der
verbalen Proklamation 75. obwohl er Jahrhunderte jüngere Beispiele analysiert hat, deren Überlieferungslage besser ist als jene der Zeit childerichs, so spiegeln sich seine ergebnisse doch auch in der 481/482
erfolgten Bestattung in Tournai wider. diese sei im Folgenden mit einem weiteren »Spektakel der Macht« 76
verglichen, der Taufe chlodwigs 77. Über sie liegen – im Gegensatz zur Bestattung childerichs – einige
schriftliche Überlieferungen vor, die allerdings keine eindeutige datierung des ereignisses erlauben. die
Taufe erfolgte Weihnachten, zwischen 497 und 508, sehr wahrscheinlich in reims und wurde von Bischof
remigius vorgenommen (abb. 9) 78. das eigentliche ereignis, seine politische und seine religiöse Bedeutung,
seine Überlieferung und genaue datierung sollen hier nicht weiter vertieft werden 79. die arbeiten dazu
füllen regalmeter 80. Hier geht es um die »Botschaften«, die für die unterschiedlichen Teile des »Publikums«
ausgesendet werden. Wie bei der Bestattung seines Vaters nutzte chlodwig seine Taufe zur demonstration
und in diesem Fall auch zur weiteren Festigung seiner Macht. Wenn man betrachtet, welche Bedeutung
chlodwigs Taufe noch heute beigemessen wird, so verwundert die spärliche Quellenlage. als zeitgenössische reaktion liegt lediglich ein Brief des Bischofs avitus von Vienne vor; einige Generationen jünger ist die
relativ ausführliche Beschreibung von Gregor von Tours. der Brief avitus’ enthält zahlreiche Informationen,
die von Bedeutung sind 81. es beginnt mit der ankündigung des ereignisses durch Boten, die anscheinend
über das Herrschaftsgebiet chlodwigs hinaus ausgesendet wurden, denn Vienne, der Bischofssitz avitus‘,
gehörte zum burgundischen königreich. Hier fasst man einen deutlichen unterschied zur Bestattung childerichs, die nicht einmal bis nach reims publik gemacht wurde, das zum Herrschaftsbereich childerichs
zählte – remigius beginnt seinen Brief an chlodwig mit »rumor ad nos magnum pervenit« 82. die Taufe
chlodwigs hingegen war von langer Hand vorbereitet und fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem seine
Macht gefestigt und weithin anerkannt ist. Man sieht dies auch daran, dass avitus sein Fernbleiben meint
entschuldigen zu müssen.
Von großer Bedeutung waren bei der Taufe wie bei der Bestattung Childerichs die alten und neuen Eliten –
aus der Sicht avitus‘ »die zahlreiche Schar der versammelten Bischöfe«, die bereits vorab den Hergang
plante. Beim anlass der Taufe ist es natürlich naheliegend, dass die Bischöfe im Vordergrund standen. doch
auch die militärische komponente war wieder deutlich vertreten. der Planung der Bischöfe zufolge sollte
chlodwig zur Zeremonie Helm und Panzer abnehmen, was bedeutet, dass er gerüstet zur Taufe erschien.
Gregor von Tours zufolge wurden zusammen mit chlodwig 3000 »aus seinem Heer getauft« 83. die Bot-
althoff 1993, 31. – Grundlegend althoff 2003; 2009.
der Begriff »Spektakel der Macht« stammt von althoff / Stollberg-rilinger 2008, 15.
77 ein weiteres Spektakel der Macht chlodwigs erfolgte nach dem
Sieg über die Westgoten und seinem triumphalen einzug in
Tours. Mccormick (1989) hat ihn genau analysiert und meint
hier eine »Germanic imitation of the emperor« (ebenda 163) zu
erkennen. Vgl. dazu auch althoff 2003, 33 f. – Vgl. dick 2014,
377 f.
78 abb. 9 zeigt das untere drittel eines Buchdeckels aus dem
10. Jh., ist also wesentlich jünger als die Taufe. Goldschmidt
1914, 31 f. nr. 57 Taf. 23, 57.
75
79
76
80
81
82
83
250
D. Quast · chlodwig – die codes der Macht
Zu den datierungsproblemen und zur Bedeutung der Taufe:
Wood 1994, 41-49. – Geary 1996, 90-95. – Halsall 2001; 2007,
303-309 (mit Lit.). – dierkens 1997. – rouche 1997a. – Becher
2011, 174-203. – Jussen 2014, 44-51. – Heil 2014.
Hier nur einige wichtige arbeiten für den einstieg in Zeit, raum,
Person und Taufe: rouche 1997b. – Becher 2011. – Meier / Patzold 2014. – Vgl. dazu auch die Beschreibung chlodwigs als
einen der bemerkenswertesten und liebenswertesten Herrscher
des Mittelalters mit hohem Bildungsgrad auch in religiösen Belangen: daly 1994.
avitus, epist. 46. – Heil 2014.
Vgl. anm. 23.
Gregor von Tours, Historiae II, 31.
abb. 9 amiens, Musée de Picardie. die älteste
darstellung der Taufe chlodwigs auf einer elfenbeintafel des 10. Jhs. – (Wikimedia Commons). –
B. 12,2 cm.
schaften, die von diesem Spektakel der Macht ausgingen, verkündeten einen »neuen ideologischen Überbau« für das regnum chlodwigs, nämlich die ecclesia 84. diese Botschaft war für alle Gruppen gleichermaßen
zu verstehen. Bei der Bestattung childerichs waren die vielen Botschaften hingegen nur für die anwesenden
krieger zu verstehen, und deren Loyalität galt es zu gewinnen, war doch das Heer das wichtigste Instrument
zur durchsetzung der Politik im Gallien des ausgehenden 5. Jahrhunderts. dieses Heer hatte allem anschein
nach heidnisch geprägte Vorstellungen und die wurden entsprechend »bedient«. Folgt man den hier geäußerten Gedanken der inszenierten Bestattung, so muss man sich wohl von der annahme lösen, dass daraus
irgendwelche gesicherten aussagen zum Glauben childerichs abzulesen seien 85. Guido Berndt hat erst vor
kurzem zudem darauf hingewiesen, dass die Frage, »ob childerich Heide oder christ war, genauso wie die
Frage, ob er Barbar oder römischer Heerführer war, in dieser ausschließlichkeit den Verhältnissen der Zeit
gar nicht angemessen« sei 86. eine Hybridität in der herrschaftlichen Gewalt chlodwigs konstatiert auch
Stefanie dick 87. Interessant ist, dass chlodwig mit der Bestattung seines Vaters eigentlich alle jene Gruppen
anspricht, die er im Laufe seines Lebens zu seinem regnum francorum vereint.
BIBlIOgraphIe
Quellen
ammianus Marcellinus, römische Geschichte [rerum gestarum].
Lateinisch und deutsch und mit einem kommentar versehen von
W. Seyfarth. 1. Teil: Buch 14-17 (darmstadt 1970).
avitus, epist.: alcimi ecdicii aviti Viennensis episcopi opera qvae
svpersvnt. rec. r. Peiper. MGH aa 6,2 (Berolini 1883).
einhardi Vita karoli Magni. Post G. H. Pertz rec. G. Waitz. MGH
SS 7 = MGH SS rer. Germ. 25 (Hannoverae 61911).
Gregor von Tours, Historiae: Gregorii episcopi Turonensis Historiarum Libri decem. Post Brunonem krusch hoc opus iterum edendum curavit rudolfus Buchner. ausgewählte Quellen dt. Gesch.
Mittelalter 2-3 (darmstadt 1967).
84
85
Jussen 2007, 149.
die Vorstellung eines heidnischen childerichs herrscht in der
Literatur vor, vgl. etwa Werner 1992 und zusammenfassend
Müller-Wille 1998. die dort geäußerten Vorstellungen müssen
nicht falsch sein, sie sind nur aus dem Befund, so wie er in die-
remigius epistola. MGH ee III (Berolini 1892) 113.
Jordanes, Getica: Iordanis de origine actibusque Getarum. rec. Th.
Mommsen. MGH aa 5,1 (Berolini 1882).
notitia dignitatum accedunt notitia urbis constantinopolitanae et
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das Grab des fränkischen königs childerich in Tournai
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dieter Quast · antje kluge-Pinsker
codes der Macht. Mit 16 auf den Thron
Forschungen am rGZM –
Mosaiksteine, Band 12
Begleitbuch zur Intervention
in der dauerausstellung Frühes
Mittelalter des römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz
ab dem 6. november 2015
55 S. mit zahlreichen
meist farbigen abb.
Mainz 2015
isbn 978-3-88467-259-4
€ 16,–
Wie schafft man es, als derjenige anerkannt zu werden, der im Lande entscheidungen fällt und durchsetzt? Tagtäglich empfangen wir zahllose Texte,
Bilder und Zeichen, die uns etwas versprechen, um uns werben oder uns sogar
drohen. Ihre absender wollen, dass wir ihnen das Mandat der Macht erteilen.
dabei sollen wir die manchmal offenen, manchmal verschlüsselten Botschaften so verstehen, wie ihre absender es wünschen.
auch die archäologie entschlüsselt »codes der Macht«. Sie verbergen sich in
objekten, deren Fundzusammenhänge uns die »Bühnen« zeigen, auf denen
die mit ihnen verbundenen Botschaften dem Publikum präsentiert wurden.
dieser Blick auf Machtkämpfe in längst vergangenen Gesellschaften, in ganz
anderen Herrschaftsstrukturen und Medienwelten ausgetragen, schärft unser
Bewusstsein für gegenwärtige »codes der Macht«.
Im Jahr 482 waren es die Begräbnisfeierlichkeiten für könig childerich, die sein
Sohn, der 16-jährige chlodwig, für die Sicherung seiner nachfolge auf den
Thron zu inszenieren wusste.
Verlag des römisch-Germanischen Zentralmuseums, Mainz
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